Ein Interview vom 19. April 2001
Georg Feuser und Wolfgang
Jantzen
Georg Feuser
Wolfgang Jantzen - Dieser Name, Dein Name, Wolfgang,
ist aus meiner Sicht unmittelbar mit der Entwicklung einer umfassend
wissenschaftlich fundierten, materialistischen und kritischen
“Behindertenpädagogik” verknüpft, die Du grundgelegt und in ihren zentralen
Kategorien erarbeitet und beschrieben hast - dies in den Feldern von Theorie
und Praxis und unter Heranziehung wie in bezug auf alle humanwissenschaftlichen
Kontexte.
Wir hatten
beide die Chance, in diesem Jahr unser 60. Lebensjahr zu vollenden - in einer Zeit, in der, wie ich z.B. dem
WESER-Kurier entnehme, 64% der Bevölkerung im Westen und 80% im Osten Deutschlands
eine aktive Sterbehilfe befürworten, die nur von 19% bzw. 6% abgelehnt wird.[i] In den Niederlanden ist in diesen Tagen das Gesetz
zur Zulassung der aktiven Sterbehilfe verabschiedet worden.
Was heißt
“Behindertenpädagogik” mit dem Blick nach vorne und mit dem Blick auf diese
Entwicklungen?
Wolfgang Jantzen
Wenn ich versuche, die Frage in einen Kontext
einzuordnen, dann fällt mir ein Artikel des russischen Philosophen Epstein in der
Zeitschrift “Lettre international” ein, in dem es um Zukunft, Gegenwart,
Vergangenheit ging. Der Artikel von Epstein
ist mit “Tempozid” überschrieben: “Mord an der Zeit”.[ii] Die Frage “Zeit” scheint in diesem Wettbewerb von
“Lettre international” auf und nicht nur bei Epstein.
Auch aus anderen Artikeln ergeben sich einige Grundprobleme. Das erste ist,
wenn man zurücksieht, neigt man sehr dazu, die Vergangenheit nostalgisch zu
erhöhen; die unbekümmerte Kindheit, der reine Wilde, der Wald, das Land
gegenüber der Stadt usw. und solche Schöpfungen, d. h. wir neigen dazu, uns
gerade in bedrohten Zeiten Orte von Harmonie zu schaffen.
Die zweite
Problematik ist die der Utopie. Eine andere Art von Flucht aus der Gegenwart
kann in Form einer Utopie stattfinden, die anstelle der systematischen
Veränderung der Gegenwart, die immer mühsam ist und die immer in der Gefahr
ist, korrumpiert zu werden, die Flucht in die reine Menschlichkeit als mögliche
künftige Gesellschaft postuliert und - gleichzeitig damit einhergehend - das
Verbot, sich an der schmutzigen Praxis die Hände schmutzig zu machen. Beides
ist durchaus in der Behindertenpädagogik gängig, aber darauf will ich jetzt nicht so sehr eingehen. Ein drittes Moment, das Epstein hervorhebt und das ich für
höchst bedenkenswürdig halte, ist der Tempozid der in der Gegenwart
stattfindet. D. h. die Gegenwart als offene Zeit zur Veränderung wird negiert,
einerseits durch die postmoderne Geschichtsphilosophie-Diskussion, es gebe nur
noch ein Ende der Geschichte: Die Welt als solches könne nicht umfassend
gedacht werden, sondern nur noch je subjektive Zugänge zur Welt, das Ende der
großen Erzählung sei erreicht. Und mit dieser ideologischen Figur, die von der
einen Seite herkommt, verknüpft sich sehr gut auf der anderen Seite die
Spaßgesellschaft. Die jüngsten Meinungsumfragen zum Wertewandel in der Jugend
zeigen ja sehr deutlich, daß dort, den Interviews nach, Prozesse der
Entsolidarisierung stattfinden, daß nicht mehr als attraktiv erscheint im Sinne
von sozialem Gemeinsinn sich zu engagieren. Wenn ich das alles zusammennehme,
dann findet einerseits ein Tempozid statt, indem dieser Prozess auch durch die
Verflachung und Sensationsorientierung des Journalismus sich laufend
beschleunigt und andererseits gibt es im Hintergrund gesellschaftliche Kräfte,
denen das nur zupass kommt und die dies gnadenlos nutzen. Denn dies entspricht
genau dem Konzept der “80:20 Gesellschaft”, die für die Zukunft prognostiziert
wird: 80 % sind ohne Arbeit, 20 % leben in einigermaßen gesicherten Lebensverhältnissen,
und - nach den Worten des ehemaligen amerikanischen Präsidentenberaters Zbiniev Brzezinski - muss für die 80%
Ernährung und Unterhaltung vorgehalten werden und mehr nicht. Das paßt alles recht gut zueinander. Während
also auf der einen Seite eine Geschichtsphilosophie suggeriert, das Ende der
Geschichte ist erreicht, orientierten sich andere Teile immer noch ganz im
alten Reagen‘schen Denken, der
Gegner ist ausgemacht! Bei Huntington
heißt es: The west against the rest.[iii]
Dieser große hegemoniale Konflikt wird natürlich auf allen Ebenen mit
geschichtlicher Planung gefahren. Da gibt es überhaupt kein Ende der
Geschichte. Den herrschenden kapitalistischen Kräften ist ganz klar, daß die
Schlachten noch längst nicht alle geschlagen sind. Insofern könnte man, wenn
man das einmal etwas persiflieren und Saddam Hussein zitieren will, sagen: “Die Mutter aller Schlachten
steht noch bevor.” Das wäre so der Kern und jetzt zur Behindertenpädagogik.
Georg Feuser
Vielleicht noch eine kleine Rückfrage: Sind die
philosophischen Gebäude, auf die Du rekurrierst, neue Varianten eines verschleierten Kulturpessimismus oder mehr
als dieser Begriff zu beschreiben vermag?
Wolfgang Jantzen
Nein, nein! Das ist kein Kulturpessimismus. Ich halte
mich nur ganz einfach an einen Gedanken von Hans
Jonas, den ich für überaus vernünftig halte, nämlich die
schlechtmöglichste Variante zu antizipieren und alles zu tun, damit sie nicht
eintritt.
Jetzt zur
Behindertenpädagogik. Die Behindertenpädagogik ist überwiegend immer noch ein
von Naivität geprägtes Fach. Naivität, das ist hier nicht negativ und nicht
zynisch gemeint, sondern in der Weise, daß ehrenwerte, humane Motive in
Kontexte einfließen, deren Bewältigung sie nicht gewachsen sind und die dann zu
allen möglichen Kompromissen, Umbildungen und ideologischen Figuren führen, die
ganz woanders liegen, als die eigene humane Ausgangsposition gewesen ist. Diese
naive Unterentwicklung des Faches lässt sich schon in den genannten Zeitebenen
abbilden. Zum einen findet immer wieder
der Versuch statt, vergangene Zustände nostalgisch zu verklären. Man könnte
diesbezüglich Christian Gaedts
Überlegungen anführen - mit Abstrichen natürlich und ohne ihm Unrecht tun zu
wollen - inwieweit Anstalten sinnvolle Lebensräume für Behinderte sein können,
wenn man sie mit Kommunalcharakter ausstattet usw. Zum Teil finden sich in der
Anthroposophie solche Überlegungen, also einfach Inseln des Rückzugs zu
schaffen mit gewissen Verklärungen, aber man muss sich natürlich fragen - eine
Frage, die meine ehemaligen Doktoranden Kuckherman
und Wiggert-Kösters[iv]
schon in den 70er Jahren aufgegriffen und behandelt haben: Was ist das für eine
Arbeit, die gesellschaftlich entwertet ist und die man Behinderten in einem
scheinbar humanen Akt zukommen lässt? Das ist alles nicht unproblematisch und
bedarf eines weiteren Durchdenkens. Zumindest sollte das Fach sich darüber klar
sein, daß einer der Fluchttunnel, der ständig präsent ist, die Flucht in die
Nostalgie ist. Das sieht man in bestimmten christlich motivierten Heilpädagogiken
auch in der ideologischen Überhöhung des eigenen Handelns; sozusagen in den
Schönfärbungen dessen, was man tut, indem man die eigenen Motive, die eigenen
humanen Ansatzpunkte für die Wirklichkeit erklärt. Da fand ich die Kritik von Anstötz[v]
seinerzeit an den traditionellen Heilpädagogen mehr als berechtigt.
Das andere
ist natürlich die Flucht in die Utopien, die insbesondere in bestimmten Teilen
einer sich selbst so bezeichneten Linken modern gewesen ist und immer noch
modern ist. »Die Anstalten sind so schrecklich«, »die Schulen sind so
schrecklich«, daß man erst gar nicht hineingeht und am besten ist es, diese
Wirklichkeit unsichtbar zu machen, indem man auch den Begriff für diese
Wirklichkeit wegnimmt, so etwa die Integrationspädagogik. Nur - mit allen
Umfärbungen, Euphemismen und mit aller Antizipation einer besseren Zukunft
bekommt man sie nicht, wenn man sie nicht in der Gegenwart erstreitet.
Das dritte
Problem im Kontext der Frage des »Tempozid«, sind etliche Tendenzen im Fach im
Sinne einer Auslöschung von Gegenwart gerade im Diskurs um die
Konstruktivismus-Debatte. Sie hat eine
überaus positive Seite. Es kann die Autonomie und Selbstbestimmungsfähigkeit
eines jeden Menschen nicht mehr geleugnet werden. Wenn aber die Wirklichkeit
nur je meine ist und sonst nichts, dann stellt sich die Frage, was
pädagogisches Handeln ist, wenn die Realität nur von mir konstruiert wird? Wie
kann dann jemand anderer auf diese konstruierte Realität einwirken und wie kann
ich auf den anderen zurückwirken? D.h. die Begriffssysteme, innerhalb deren
Pädagogik zu verorten ist, entschwinden und werden beliebig. Exemplarisch
erscheint ein Stück weit die Diagnostik-Debatte in der “Sonderpädagogik” um die
Thesen des unterdessen verstorbenen Kollegen Hauschildt.[vi]
Was kann
Behindertenpädagogik in dieser Situation heißen? Sie kann - wir kommen später
sicherlich noch ein bißchen mehr darauf - sie kann nur heißen: Hinter diese
Oberfläche der Erscheinungen zu gehen und Behinderung als soziales Verhältnis
auszumachen und den Mut zu haben, zuzugestehen, daß wir, wie immer wir
arbeiten, dieses soziale Verhältnis mit aufrechterhalten und aufrechterhalten
müssen; etwa im Sinne des Imperativs von Martin Buber, dass uns zwar gegeben ist, Gutes zu tun, aber es uns
nicht gegeben ist, nicht Unrecht zu tun. D. h., wenn wir Behinderung
entschlüsseln, wie das die materialistische Behindertenpädagogik getan hat,
nach der Subjektseite hin als »Isolation« von sozialen Prozessen und von
Kultur, eine Isolation, die in der Regel nicht durch den Defekt, sondern durch
das Sozium hergestellt wird, und wenn wir nach Seiten der sozialen Verhältnisse
die Hauptdeterminante dieses Prozesses als Investition in Arbeitskraft
begreifen, Investitionen, die bei Behinderten im Durchschnitt gesehen sich ökonomisch
weniger lohnen, wie es ja auch die immer wieder aufkommenden Berechnungen
zeigen, dann schimmert durch, dass der Kern der gesamten Behindertenpädagogik,
der Kern der Konstruktion von Behinderung direkt und indirekt die offene und
strukturelle Gewalt ist. Die Kernperspektive des Faches wäre, ohne alles
humanistische Bramarbasieren und ohne diese ideologische Überhöhung, diesen
Kern anzunehmen und dem erst einmal standzuhalten, dass das so ist und daß
unsere besten Beteuerungen, Beziehungsarbeit o.ä. zu leisten, ständig von der
Praxis ins Gegenteil verkehrt wird, ohne dass wir bemerken, dass das passiert.
Das wäre, denke ich, mit Blick nach hinten und
Blick nach vorne, eine große Dimension der Behindertenpädagogik. Dazu
müßte sie natürlich auch das historische Gemachtsein der postmodernen
philosophischen Diskussion, der Spaßgesellschaft, erkennen, wobei ich
wohlgemerkt nicht die postmoderne Philosophie abwerten will; daraus kann man an
anderen Punkten wieder sehr viel lernen. Aber ich habe das jetzt in einen
größeren Rahmen gestellt: Erhaltung der Zeit versus Vernichtung der Zeit.
Georg Feuser
Einige der Zusammenhänge, Wolfgang, die Du
angesprochen hast, auf die möchte ich später noch einmal zurückkommen. Zunächst
würde ich feststellen wollen, dass wir schon seit vielen Jahren Strömungen, die
uns bezüglich der Absicherung der Grundbedürfnisse als behindert geltender oder
in anderer Weise schwer beeinträchtigter Menschen nach gesundheitlicher und
sozialer Absicherung und auf Bildung mit Sorge erfüllen. Mit der Sorge, daß
selbst minimale humane Standards unterschritten werden. Gleichzeitig ist der
Begriff der “Qualitätssicherung” auch im Behindertenbetreuungswesen zu einem
fast allgegenwärtigen Wort geworden - ein Schlagwort - ein Verschleierungswort?
Wolfgang Jantzen
Ich muß noch ein paar Sachverhalte aufgreifen, die im
Kontext der ersten Frage unbeantwortet blieben, um Dir weiter antworten zu
können: Du hast die Sterbehilfe als eines der Probleme angesprochen. Wir
könnten genauso noch das Problem der zunehmenden Freigabe der Eingriffe in die
Keimbahn oder anderes nennen. D.h., der Bereich, in dem Behinderung existent
ist, wird systematisch schmaler. Ich denke, daß große Teile des Faches das noch
nicht richtig wahrnehmen. Aber er wird schmaler auch deshalb, weil dahinter die
Vision von Huxleys schöner neuen
Welt aufscheint und alles darangesetzt wird, diese Welt herzustellen für jene,
für die diese Welt erreichbar scheint, wobei die sich in der Regel nicht im
mindesten um alle jene scheren, für die diese Welt nicht erreichbar ist.
Behindertenpädagogik
markiert sozusagen den härtesten Kern dessen, was sich gegen diese Bedrohung zu
wehren hat und gegen diese Auslöschung, die ja immer in Form von Verdinglichung
stattfindet. Verdinglichung: Der Embryo hat keine Personenrechte. Natürlich
kann er diese im philosophischen Sinne nicht haben. Er kann sie aber rechtlich
zugesprochen bekommen, das ist juristisch durchaus möglich und man kann das
sehr wohl begründen.[vii]
Oder: Bei schwerem Leiden sollte man zur Sterbehilfe schreiten. Aber darin
steckt schon eine Verdinglichung, weil, wenn man die palliative Medizin, die
Schmerztherapie, nicht ausbaut, man dieses Leiden erst herstellt und es den
Betroffenen zuschiebt, eine solche Entscheidung fällen zu müssen.
Die
Behindertenpädagogik wäre sozusagen ein Fach, das gegen diese Verdinglichungen
steht. Man könnte auch, um den Gedanken von Vygotskij
aufzugreifen, den er seiner Methodologie vorweg gesetzt hat, mit der Bibel
sagen: Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden.
Ich komme jetzt nochmals auf das, was ich Dir schon geantwortet habe. Ich habe
in einem Buch mit Aufsätzen zur Ethik ein Brecht-Zitat
vorangestellt, aus dem Lehrstück vom Einverständnis. Das Buch hat den Titel:
Das Ganze muß verändert werden.[viii] Dieser Titel ist oft mißverstanden worden, weil
einfach das Motto nicht gelesen wurde. In diesem Brecht-Zitat geht es um das Verhältnis von Hilfe und Gewalt. Brecht zeigt, wie Hilfe immer in
Systeme von Gewalt eingebunden ist und dieses Zitat endet “... darum sollt Ihr
nicht Hilfe leisten, sondern die Gewalt abschaffen, denn Hilfe und Gewalt
bilden ein Ganzes und das Ganze muß verändert werden”. Also, das Verhältnis von
Hilfe und Gewalt muß verändert werden. Und damit sind wir bei der
Qualitätsdebatte, die damit einen ganz anderen Kern bekommt. Verändert die
Qualitätsdebatte in der Bundesrepublik das Verhältnis von Hilfe und Gewalt? Wir
haben dazu mit zahlreichen Autoren ein Buch gemacht.[ix] In diesem sind auch internationale Vergleiche
angestellt. Wir können feststellen, daß in England die
Qualitätssicherungsdebatte sehr stark mit öffentlicher Beteiligung gekoppelt
ist, also mit demokratischer Kontrolle der Qualität. Davon ist hier bei uns
überhaupt nicht die Rede. Wir haben es
im gesamten Feld der Behindertenpädagogik mit Bereichen zu tun, wenn wir
z.B. die Organisationsebene betrachten, die extrem undemokratisch organisiert
sind. Das kann ich an den Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände aufzeigen, für die
nach wie vor noch der Tendenzparagraph gilt. Natürlich ist unter dem Druck der
ökonomischen Situation zum Teil die Herrschaft der alten Pastoren über die Großeinrichtung aufgebrochen worden; bei
Diakonie und Caritas. Aber was ist die Folge? Genauso wie bei den anderen
Verbänden sind smarte junge Geschäftsführer an ihre Stelle getreten, ohne daß
es irgendwelche Möglichkeiten gibt, die jetzt vorherrschenden
Gesellschaftsformen gemeinnütziger GmbH’s zu kontrollieren. Die Vorstände sind
nicht in der Lage ihr Kontrollrecht auszuüben, weil ihnen die inhaltliche
Verkopplung fehlt und die Einrichtungen selbst sind in der Regel so aufgebaut,
daß sie weit weg von allen Prinzipien lernender Organisationen sind, ja das
sogar massiv abgewehrt wird. Selbst dort, wo sie sich als lernende Organisation
geben, dient es vor allem der Darstellung ihrer Kompetenz nach außen und ist in
der Regel aber gleichzeitig mit massiver Abwehr verbunden, wenn es darum geht,
die nach wie vor nach innen herrschenden unmenschlichen Zustände im Umgang mit
Behinderten aufzudecken. Diesbezüglich - wahrscheinlich kommen wir später noch
einmal darauf, wenn wir ein bißchen auf vergangene Zeiten zurückgehen- hat sich zwar vieles geändert, wenn ich das
mit der Situation Anfang der 70er Jahre vergleiche, wo ich mich z.B. auf dem
Vorschul-Kongress in Hannover in einer Veranstaltung für Behinderte bei einer
Debatte vehement gegen das Podium geäußert habe, das davon sprach, wie gut die
Geistigbehinderten in den schönen, sauberen Anstalten untergebracht seien. Es
geht nicht darum, dass es irgendwo schöne Wohnungen gibt, das ist okay, es geht
nicht darum, dass das Personal versucht, freundlicher zu sein, es geht darum,
dass systematisch ausgeräumt wird, was heute noch Kern jeder Arbeit, in jeder
Anstalt ist, so wie sie ist - nicht weil das Personal das will, sondern weil
das Personal so handeln muss, weil es nicht anders geht - nämlich die
Doppelung von Behinderten in »gute« und »schlechte Anteile«, in Anteile
von »liebe, freundliche Menschen«, denen man Empathie zukommen lassen kann, in
»arme Behinderte«, die doch so offen sind, dass es Spaß macht, mit ihnen zu
arbeiten, die viel menschlicher sind als alle anderen .....
..... wie es ja auch in zwischen in die Werbung
eingeht (Georg Feuser)
genau, und denen in dieser Doppelung natürlich
gleichzeitig alle schlimmen Eigenschaften zugeschrieben werden, die sie
pathologisieren und kriminalisieren. Alle Anstalten sind voll der Rede: “Der
provoziert”, “die provoziert”. Wobei ich mich frage, was die Rede davon soll,
wenn man halbwegs reflektiert, was das Leben in der totalen Institution
bedeutet und wenn man weiß, dass, was Provokation genannt wird, eine
Überlebensmöglichkeit unter der Bedingung der totalen Einrichtung ist. Aber,
wie gesagt, das hängt mit der doppelten Realität dieser Einrichtungen zusammen,
zu denen man soziologisch außerordentlich viel sagen kann: Zu einer
öffentlichen, die nach außen hergestellt wird und zu einer geheimen, die nach
innen hergestellt wird, in der natürlich das gemeinsame schlechte Gewissen
gegen Änderungen verbindet. Man kann das exemplarisch etwa an dem Dörner-Bericht[x]
über das St.-Joseph-Stift sehen. Aber das ist überall in Einrichtungen so -
nein, ich will nicht sagen »überall«, weil ich eine einzige kenne, wo ein
anderer Weg versucht wird, aber da sind die Leute am Rand der Erschöpfung.
Gut, wenn ich das alles einbeziehe, dann frage ich:
Was heißt Qualitätssicherung und was kann Qualitätssicherung heißen unter dem
Druck, die bisherige Arbeit noch sparsamer, noch effektiver machen, Erfolge
aufweisen zu müssen. Das führt zu großen Zweifeln, ob eine solche
Qualitätssicherung gelingt und gelingen kann, zumal ja auch die Hebel durch die
Gesetzgebung so verteilt werden, dass letztlich die Sozialbehörden insgesamt
größeren Druck haben. Die Sozialbehörden sind fern dem Problem Behinderung und
aufgrund der Dauerarbeitslosigkeit unter riesigen Sparzwängen. Ich kann es den
dort arbeitenden Kolleginnen und Kollegen gar nicht verdenken, wenn sie
versuchen, Kosten zu sparen. Da sie noch viel weiter von den
Behinderteneinrichtungen weg sind, ist es natürlich kein Wunder, dass diese
Verdoppelung und Verdinglichung bei ihnen noch sehr viel stärker ausgeprägt ist
als bei den Mitarbeitern, wo sie ohnehin schon eminent stark ist.
Das alles müsste man also systematisch aufbrechen.
Dazu gibt es Ansätze und dazu haben wir ja auch eine Menge Überlegungen
angestellt und Praxis vorgelegt. Ich sehe die Entwicklung auch nicht nur
negativ. Das, was das Bündnis der vier großen Behindertenverbände an
Sensibilisierung hervorgebracht hat, was insbesondere die Lebenshilfe an
Diskussion anschob, ist für mich glaubhaft, insbesondere auch deshalb, weil die
Lebenshilfe darauf dringt, dass Geistigbehinderte auf allen Ebenen in ihre
Vorstände kommen. Ein solcher Prozess müsste angeschoben werden, mit massivem
Ausbau der Selbstbestimmungsrechte von behinderten Menschen und ihren
Angehörigen, mit massiver sozialer Kontrolle der Geschäftsführungen von
Einrichtungen aber auch mit massiver sozialer Kontrolle von Vormundschaftsgerichten
und Betreuern, denn da bildet sich eine ganz neue Ebene von Machtausübung und
manchmal von Gewaltausübung aus, fern von aller sozialen Kontrolle. Man müsste praktisch Begehungskommissionen
haben, öffentliche Einrichtungen, wo regelmäßig Rechenschaft abgelegt wird und
wo Einrichtungen in Begründungszwang für bestimmte Maßnahmen kommen, während
ihnen alle anderen Sachen offen gelassen werden. Ich bin überhaupt nicht dafür,
das Fach zu gängeln, dem Erkunden muß alles gestattet sein, außer Geistigbehinderten
ihre Grundrechte abzusprechen.
..... vor allem das Recht auf Leben (Georg Feuser)
Ja!
Georg Feuser
Wolfgang, Deine Bemerkungen zu meiner zweiten Frage
ziehen für mich eine Linie an, die auf einen umspannenden, weltweiten Prozess orientiert
ist - vielleicht im Kontext mit Entwicklungen, die wir heute auf der einen
Seite mit dem Begriff der »Globalisierung« und auf der anderen Seite mit dem
der »Deregulierung« auch im Bereich des Gesundheits-, Sozial- und
Bildungswesens in die Diskussion
bringen. Mir drängt sich der Eindruck auf, daß mangels einer fundierten
Ökonomie in diesen drei Bereichen die Folgenabschätzung für die Menschen
unzureichend transparent wird und die Chance zu einem dringlich erforderlich
Widerstand verpaßt wird - oder ist ein solcher von vornherein absolut
aussichtslos? Die Schriften von Bourdieu lassen doch hoffen?
Wolfgang Jantzen
Bourdieu schreibt ja an einer Stelle, dass der neoliberale
Diskurs ein starker Diskurs ist und ein starker Diskurs ist ein Diskurs der
sich selbst verstärkt, also der sich dauernd positiv rückkoppelt. Was man
vielleicht daraus auch nehmen kann: Gestern, in “Drei-nach-Neun” diskutierte
eine Runde, in der ein Vorstandsmitglied der Dresdner Bank saß. Es ging um das
Engagement der Dresdner Bank gegen rechts. Der Vertreter der Dresdner Bank
wurde befragt, wie sich denn jetzt die Kunden angesichts des massiven Verfalls
der Wertpapiere verhalten. Die Antwort war, daß die Kunden sich sehr vernünftig
verhalten, daß sie über Jahre die Gewinne mitgenommen haben, aber jetzt auch
nicht in Panik geraten, sondern das relativ mit Ruhe nehmen. Wie kann jemand es
mit Ruhe hinnehmen, daß ein großer Teil seines Vermögens zerfällt? Es liegt ja
eine andere Situation vor, als beim großen Bankenkrach der 20er Jahre.
Ersichtlich ist das nur möglich, wenn alles durch einen fast irrationalen
Glauben an ein überindividuelles Subjekt genährt wird - und dieses
überindividuelle Subjekt heißt Neoliberalismus. D.h., die neoliberalen
Sachzwänge sind so in die Köpfe der Menschen eingegangen, daß sie praktisch
eine neue Ausformung des Fortschrittsbegriffes bewirkt haben, der ja nach
philosophischen Annahmen bereits ein spezifischer säkularisierter Gottesersatz
ist. Der Neoliberalismus wäre also ein weiterer säkularisierter Gottesersatz.
Nur das kann erklären, daß Menschen nicht in Panik geraten, wenn ihnen ihr
eigenes Vermögen unter den Händen zerrinnt.
Das ist ein
Diskurs, der an der Oberfläche sehr viel für sich hat, denn natürlich müssen
die Finanzkapitalbewegungen dazu führen, dass irgendwo wieder
Spekulationsgewinne zu machen sind, das ist überhaupt keine Frage. Nur, die
Investitionsgewinne werden immer weiter nach hinten treten, bedeutungslos
werden und das führt auch dazu, dass Unternehmen ihre Politik nun nach der Spekulation
und nicht nach den notwendigen langfristigen Investitionen ausrichten usw. usf.
Was hier in Gang gesetzt wird, ist einer Schlange gleich, die sich selbst in
den Schwanz beißt und sich auffrißt. Wenn Unternehmen nicht mehr die
langfristigen Entwicklungsinvestitionen im Kopf haben, sondern sich kurzfristig
an der Spekulation orientieren, rennen sie natürlich immer hinter den
Spekulanten her und irgendwann geht das Kapital weg, so bei dem Milliardencrash
in Ostasien. Die Werte verfallen, die Arbeitslosigkeit steigt, die Fabriken
gehen kaputt usw. usf. Das heißt, dieser Prozess ist auf Sand gebaut und
vernichtet sich selbst, aber das kann noch eine sehr lange Zeit in der
aufgezeigten Weise funktionieren.
Dagegen müsste man sich natürlich, wenn man an diese
Sachverhalte kritisch herangehen will, mit den Mechanismen vertraut machen, die
das alles stoppen könnten und die angebracht sind. Dazu gibt es hinreichend
nationale und internationale Literatur. Hier würde ich zuerst gar nicht Bordeaux nennen, weil er auf der Ebene
von Ökonomie nicht arbeitet, sondern auf der Ebene der Soziologie,
wenngleich er Verbindungsstellen zur
Ökonomie offen hält. Ich würde beispielsweise Huffschmids
neues Buch “Politische Ökonomie der Finanzmärkte” nennen oder andere Bücher,
die diesbezüglich ein Stück schlauer machen können. Schlau machen müssen wir
uns ein Stück weit: Nicht, um Ökonomen zu werden, überhaupt nicht, sondern
damit es geschafft werden kann, diese neoliberale Besoffenheit zu überwinden. Vygotskij schreibt an einer Stelle
über einen Autor, daß dieser trunken vom cartesianischen Wein ist. Man könnte
sagen: Große Teile der Bevölkerung, auch die, die sich im Gesundheits-, Sozial-
und Bildungssektor engagieren, sind trunken vom neoliberalen Wein und es wäre
höchste Zeit, sich wieder einen klaren Kopf zu machen, sich auf die sauren
Heringe einzustellen, die man schlucken muss und genauer zu überlegen, was da
abläuft.
Was ist der Kern eines solchen Diskurses, was kann man
überhaupt machen? Das wird in den verschiedenen Analysen von gewerkschaftlicher
oder wissenschaftlicher Seite immer wieder ausgemacht: Es gilt, das
Demokratiedefizit zu beseitigen. Das ist eine sehr interessante Frage.
Zumindestens auf der Ebene des investiven Kapitals wird unterdessen in Debatten
ganz klar darauf hinweisen: Betriebe lassen sich besser und rationeller führen,
wenn nach den Prinzipien der Selbstorganisation die Mitarbeiterschaft in hohem
Grad über Rückkoppelungsmechanismen an der Betriebsführung beteiligt ist -
lernende Organisation nennt man das. Es gibt Berge an Literatur dazu. Das
heißt, innerhalb des Produktionskapitals selbst ziehen demokratische Elemente
ein, weil die Produktion anders nicht zu gewährleisten ist. Das ist für die
drei Bereiche, die wir hier vor uns haben, natürlich ein Stück anders, denn auf
der einen Seite sind sie vom neoliberalen Wein besoffen, auf der anderen Seite
tun sie aber alles andere als sich nach Gesichtspunkten moderner
Betriebsführung zu orientieren, d.h. sie versuchen, Macht zu erhalten, Einfluss
zu erhalten, zu verwalten und kommen damit natürlich auch wiederum in Probleme,
sich am Markt halten zu können. Das ist wiederum dann doch nicht so
problematisch, weil sie sich möglicherweise mit minderqualifizierten Personal,
weniger Demokratie, härterem Durchgreifen im Betrieb kostengünstig und besser
am Markt halten und besser mit Sozialämtern verhandeln können. Also darf man
annehmen, dass in diesem Bereich von innen heraus oft ein nicht allzu großes
Interesse an Demokratisierung besteht. Diese Bereiche, wenn es um behinderte
Menschen geht, um alte Menschen, um sozial verelendete Menschen, um kranke
Menschen, müssen von außen her zur Demokratisierung gezwungen werden. Natürlich
unter Einbeziehung der an der Basis Arbeitenden, weil diese einerseits Täter
gegenüber den betroffenen Gruppen, andererseits aber selbst Opfer sind, mit in
Prozesse hineingezogen werden, die sie verantworten wollen aber eigentlich
nicht verantworten können. Hier müsste es einen massiven Druck von außen geben,
dass es ohne Demokratisierung keine Qualitätssicherung , keine Pädagogik geben
wird - das gilt im übrigen auch für den Schulbereich, den ich hier ausgelassen
habe.
Georg Feuser
Meine Zwischenfrage, wenn Du erlaubst, wäre auch
dahingehend zu verstehen, ob die Analyse, die Du aufgemacht hast, generell für
Gesundheit, Soziales und Bildung gelten kann oder ob Du möglicherweise zwischen
diesen Bereichen differenzieren würdest?
Wolfgang Jantzen
Ich würde erst einmal gar nicht so sehr
differenzieren, weil ich glaube, dass es außerordentlich wichtig ist, diese
Bereiche übergreifend zu analysieren. In den 70er Jahren sind bemerkenswerte
sozialwissenschaftliche Schriften entstanden, einmal beim wissenschaftlichen
Institut des DGB, das große zweibändige Werk von Bäcker und Ko-Autoren über Sozialpolitik und andererseits das
Buch von Dankwerts über soziale
Arbeit, die erstmalig diese verschiedenen Bereiche insgesamt als Bewegungen des
variablen Kapitals gekennzeichnet haben.[xi]
Für Leute, die heute mit dem Begriff nichts mehr anfangen können: Diese Bereiche
finanzieren sich über verdeckte Lohnleistungen, die vorher abgezweigt sind und
über Lohnleistungen insgesamt. Was einem Arbeiter direkt gezahlt wird, ebenso
wie die sogenannten Lohnnebenkosten, das ist beides zusammen das variable
Kapital. Wenn man nicht im Auge hat, dass alle diese Bereiche darüber
finanziert werden, dann wird man einen Bereich gegen den anderen ausspielen und
nicht das Gemeinsame sehen. Es ist mir erst einmal wichtig, das Gemeinsame
hervorzuheben.
Du hattest aber noch in der Frage gefragt, ob die
Schriften von Bourdieu hoffen
lassen. Ich weiß es nicht. Bourdieu
ist ein wunderbarer Analytiker, was Machtverhältnisse im Detail und im Großen
betrifft - soziale Austauschverhältnisse, soziale Konstruktion von
Individualität usw. usf. Ich denke, seine Grenzen beginnen dort, wo der
Übergang von Gemeinschaft zu Gesellschaft stattfindet. Er ist ein
hervorragender Theoretiker der Gemeinschaft, und er liefert Übergangskategorien
für die gesellschaftlichen Prozesse. Das ist seine Kategorie »Feld der Macht«.
Sie ist ein Resultat der übrigen sozialen Felder, in denen die jeweils
Beteiligten sind. Wenn ich in einer Großeinrichtung arbeite, bin ich einerseits
im Feld der Großeinrichtung tätig, im religiösen Feld, wenn es z.B. katholische
oder evangelische Einrichtungen sind, im sozialpolitischen und
sozialbürokratischen Feld - sie alle fließen zusammen - und andererseits bin ich auch im kulturellen
Feld als Wissenschaftler an einer Universität tätig. Und meine Gesamtposition
aus diesen Feldern macht meine Machtposition im Feld der Macht gegenüber der
Einrichtung aus. Diese Übergangskategorie hat Bourdieu
analysiert und gleichzeitig die Übergangskategorie der sozialen Anerkennung,
die mir aufgrund meines Verhaltens aus allen diesen Feldern entgegengebracht wird
- das sogenannte symbolische Kapital. Er hat aber nur verfolgt, wie auf der
gesellschaftlichen Ebene Prozesse entstehen und da läge es natürlich nahe, sich
an die Marxsche Wertanalyse zu
erinnern, die dort einiges leisten könnte, worauf ich hier nicht eingehen will.
Insoweit ist Bourdieu in gewisser
Weise begrenzt. Er ist und bleibt, bei allem was ich an ihm schätze, ein Stück
weit französischer Strukturalist. Sein persönliches Engagement schätze ich
außerordentlich hoch, aber ich sehe nicht, wo in seiner Theorie dieser Begriff
des Engagements selbst verankert ist und seinen Platz hat. Das wäre anders,
wenn ich bei dem von mir sehr geschätzten Philosophen Spinoza beginne, der in dieser Beziehung noch in Antonio Negris wunderbarem Buch “Die
wilde Anomalie”[xii] neu zur
Sprache gekommen ist. Negri
verweist darauf, wie in der als Fülle des Seins gedachten Gegenwart, in der
alles passiert, also in der Immanenz, auf die sich Spinozas Philosophie bezieht, Spinoza, bezogen auf die Bürgerrechte, einen erkenntnistheoretischen
Bruch vornimmt. Die Bürgerrechte sind nämlich das Recht, das qua
Konstitutionsvertrag, der von jeder Generation neu geschlossen wird, in Form
von Macht durch die Bürger abgegeben wird an den Staat. Denn jeder hat soviel
Recht, wie er Macht hat. Macht kann aber nicht beliebig übertragen werden, weil
qua Natur bei den Bürgern Natureigenschaften bleiben. Und auch durch Vertrag
kann der Staat nicht in die Lage versetzt werden über die Emotionen der Bürger
zu bestimmen usw. Es ist also durch Macht nicht möglich, ein bestimmtes Fühlen,
eine bestimmte Handlung eines Menschen zu erzwingen. Und diese Dimension von
Subjektivität, die bleibt als Kriegsrecht im Bürgerrecht erhalten, so Spinoza, was Negri aufgreift. Dieses Kriegsrecht im Bürgerrecht ist in der
Tat ein Ansatzpunkt, der von etlichen Philosophen, die sich mit der modernen
Situation auseinandergesetzt haben, hervorgehoben wurde. Beispielsweise Adorno, am Ende der negativen
Dialektik, wenn er darauf verweist, dass aber das Bedürfnis nach Denken will,
daß gedacht wird oder Antonio Gramsci,
wenn er darauf verweist, daß der zugerichtete Arbeiter, der dressierte Gorilla,
sich durchaus seine eigenen Gedanken macht und den Herrschenden unbequem werden
kann. Dass das so ist, zeigt sich ja auch in dem, was wir anfangs schon
diskutiert haben- in der Notwendigkeit dieses “Tittytainment”, so der Begriff
von Brzezinski[xiii]
zu organisieren und den Verlust der
Zeit zu organisieren. Es wäre etwas Entscheidendes, gegen diesen Verlust der
Zeit Erinnerungsarbeit zu leisten, Geschichte wieder zugänglich zu machen,
Zukunft wieder zugänglich zu machen, indem, rückgebunden an Geschichte,
Dimensionen humanen Handelns in der Gegenwart geöffnet werden. Das fehlt mir
partiell bei Bourdieu, so sehr ich ihn schätze, so brillant er als
Strukturalist ist. Wenn ich mich auf das Hoffen beziehen würde, dann würde ich
andere Autoren heranziehen, z.B. Walter
Benjamins geschichtsphilosophische Thesen und Gramsci, aber eben nicht Bourdieu.
Georg Feuser
Du erwähntest “Erinnerungsarbeit”. Ich möchte etwas
zurückgreifen. Im Jahr 1974 erschien Deine Arbeit mit dem Titel “Sozialisation
und Behinderung”. Schon bei der Begriffsbestimmung von »Sozialisation«
verdeutlichst Du, daß sich das Problem nur in dialektischer Auffassung lösen
läßt. Dies in dem Sinne, daß Sozialisation begriffen werden muß “als ständig
sich erneuernder Widerspruch zwischen biologischer Ausstattung und
gesellschaftlichen Verhältnissen, vergleichbar dem Gesetz der Dialektik von der
‘Einheit und des Kampfes der Gegensätze‘” (S. 11)
Von dieser Arbeit aus zeichnet sich mir über alle
Deine zentralen Arbeiten hinweg bis heute eine kontinuierliche Linie ab, den
behinderten Menschen , wie das Franco
Basaglia (1978) in bezug auf den psychisch kranken Menschen in seiner
Arbeit über die “Institutionen der Gewalt” artikuliert hat, als einen Menschen
zu verstehen, der - Basaglia
folgend - psychopathologische Probleme aufwirft, die dialektisch und nicht
ideologisch zu verstehen sind und der ein Ausgeschlossener, gesellschaftlich
Geächteter[xiv] ist (S. 151) Welche Bedeutung hast Du damals dieser
Erkenntnis zugemessen - welche mißt Du ihr heute zu?
Wolfgang Jantzen
Es ist natürlich nett, ein Zitat aus einer so alten,
eigenen Arbeit zu hören - oft habe ich die Sachen geschrieben und schaue sie
dann nicht mehr an. Aber da steckt schon was drin. Denn diese “Sozialisation
und Behinderung” hat eine Vorgeschichte und diese ist die einer sozialen
gesellschaftspolitischen, hochschulpolitischen Auseinandersetzung um eine
andere Perspektive des Faches. Zur Vorgeschichte gehört beispielsweise das bis
heute noch nicht publizierte Papier, das wir zu dritt zu Beginn der 70er Jahre
am Institut für Sonderpädagogik in Marburg zur Lage des Instituts und zu
möglichen Alternativen vorgelegt haben und mit dem u. a. formuliert wurde, dass
das Fach nur Niveau erlangen wird, wenn es sich mit dem Marxismus
auseinandersetzt, den Marxismus aufgreift.
Daß ich nach Marburg an die Universität gegangen bin,
war eine Entscheidung in einem sozialen Feld, in dem ich vor zwei anderen Alternativen
gestanden habe. Ich hätte die Stelle eines Schulpsychologen übernehmen können
und ich hatte mich um die pädagogische Leitung einer Gesamtschule beworben
gehabt. In diesem Fall hat ein bisher als Rektor der Volksschule arbeitender
Kollege die Stelle bekommen und mir ist die nächste in Aussicht gestellt
worden. Bei der Schulpsychologen-Stelle hat sich das für den regionalen Bereich
nicht realisiert, in dem ich arbeiten wollte. Also bin ich nach Marburg
gegangen. Dies nach viereinhalb Jahren Lehrertätigkeit an eine Schule für
Lernbehinderte. Die Perspektive, die ich in dieser Arbeit gewonnen habe, ist in
dieses Papier mit eingegangen, nämlich die,
daß mit den Mitteln der alten Schwachsinns-Theorie, die aus der
traditionellen Heilpädagogik heraus immer noch präsent war, die
Lebenswirklichkeit der Schüler in keiner Weise abgebildet werden konnten. Zwar
begann sie sich durch die These von der sozio-kulturellen Benachteiligung
aufzulockern, die durch Klein und
Begemann Ende der 60er Jahre vorgebracht
wurde. Dass Harry, den sie alle den “Pisser” nannten, nicht lernen konnte, das
lag nicht daran, daß Harry dumm war, sondern das lag daran, daß sie zu sechst
in einem nicht richtig heizbaren Spritzenhaus auf dem Land gewohnt haben – das
war ein Problem der Armut und nicht des Hirndefektes. Und ich habe begriffen,
daß es für viele der Schüler das Problem der Armut war. Ich habe auch
begriffen, daß die Institutionen, die sich um diese Armut herum gruppieren, in
ihrer wohltätigen Absicht genau das hervorbringen, was sie beseitigen wollen.
So hat mich z.B. die Art des Konfirmandenunterrichts, den meine Schüler
erfahren haben, so tief gekränkt, daß ich endgültig mit der Kirche gebrochen
habe, aus der Kirche ausgetreten bin. Unerträglich war, wie diese armen Kinder
dort behandelt wurden. Damit war erst einmal deutlich, was gemeint war: Die
Biologie ist das eine und die sozialen Verhältnisse sind das andere. Die
sozialen Verhältnisse können eine Biologie asozialer Natur hervorbringen, die
weitaus defektiver ist als die biologische Natur es an sich sein könnte. Aber
das war bei “Sozialisation und Behinderung” noch eine offene Frage, denn in der
Marburger Zeit stand natürlich auch die Frage offen - und mußte noch offen
stehen: Was ist mit den Geistigbehinderten? In bezug auf diese Menschen ließ
sich natürlich die abnorme Hirnschädigung nicht außer Kraft setzen. Sie war
ohne Zweifel vorhanden. Also war da die Frage: Wie wirkt zwischen Biologie, die
anders ist, und sozialen Verhältnissen, die auch eine bestimmte Konfiguration
haben, wie wirkt dazwischen der psychische Prozess als Dimension sui generis.
Das ist eine sehr wichtige Frage, die dann eigentlich den großen theoretischen
Umbruch hervorgebracht hat, der erst kurz nach der Marburger Zeit zu spüren
war, sich aber in der Marburger Zeit angebahnt hatte. Dieser Frage war ich
länger auf der Spur. Schon für mein Diplom in Psychologie, das ich 1969 erwarb,
habe ich u.a. die Arbeit von Haggard
über “Isolation and Personality”[xv]
gelesen und erfahren, daß diese Umstände »Isolation« und eine vergleichbare
Persönlichkeitsentwicklung hervorbringen, gleichgültig aus welcher Quelle sie
kommt - ob aus Gefängnishaft, aus dem Aufenthalt in ‚Eisernen Lungen‘ o.a.m.
Nun mußte dieses Paradigma bloß noch auf die Ebene von
Gehirnfunktionen übersetzt werden, ich sage “bloß noch”, aber das war keine
einfache Aufgabe und es gab wichtige Schritte, die aus dieser Zeit heraus zu
verstehen sind. Es gab die marxistische Debatte um eine Theorie der
Persönlichkeit, die durch das Buch von Lucien
Sève “Marxismus und Theorie der Persönlichkeit” angeregt wurde, das wir
in der Marburger Zeit heiß diskutiert haben. Was ich daraus gelernt habe, ist,
daß die Persönlichkeit in Juxtrastruktur zur Gesellschaft steht, also seitlich
hineinversetzt in die Gesellschaft ist und nicht auf Gesellschaft reduziert
werden darf. Insofern, ich greife da ein bißchen vor, ist das, was dann später Ulrich Bleidick als politökonomisches
Paradigma hierzu erfand, blanker Unsinn, denn schon in der Marburger Zeit,
schon lange vor seiner Erfindung der verschiedenen Paradigmata in der Heil- und
Sonderpädagogik, war klar, daß die biologische Ebene eine eigenständige
Wirkungsweise hat und dies in gleicher Weise auch für die persönliche Ebene der
Fall ist. Dass die Persönlichkeit in Juxtrastruktur seitlich hineinversetzt in
die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verstehen ist, das hat Sève in Explikation der 6. Feuerbach-These von Marx klargemacht. Die 6. Feuerbach-These ist im Kontext aller Feuerbach-Thesen auf Aktivität, auf
sinnliche und arbeitende Praxis angelegt. Das Subjekt, in Selbstbewegung in die
gesellschaftlichen Verhältnisse hinein, entwickelt durch die gesellschaftlichen
Verhältnisse und vermittels der gesellschaftlichen Verhältnisse
Aktivitätsmatrizen, so hat das Sève
genannt, in denen sich die Individuen innerhalb von sozial vorgefundenen
Individualitätsformen entfalten und das könnte man etwa auch mit dem Verhältnis von Entwicklung und
Sozialisation vergleichen.
In dieser komplexen Weise haben wir begriffen, daß
eine marxistische Theorie auch eine eigenständige Theorie der Persönlichkeit
braucht. Was brachte das für die Frage nach der geistigen Behinderung? Erst
einmal nicht viel. Aber es machte offen für die Lektüre von Lenins Empiriokritizismus, wo die
Kategorie der »Widerspiegelung« in den Mittelpunkt gestellt wurde. Dazu muß ich
doch ein paar Worte sagen, weil die neuere Konstruktivismusdebatte zu harsch
mit den Kategorien »Widerspiegelung« und »Abbild« umgeht. Aber in Wirklichkeit
wiederholt die Konstruktivismusdebatte die alte Lockesche Debatte. Bei Locke
war nichts im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war und beim
Konstruktivismus ist nichts im Verstand was nicht vorher in der Peripherie des
Körpers war. Leibniz hat dem
alten Sensualismus entgegnet: ..... außer dem Verstand selbst. Und wir
entgegnen dem neuen Konstruktivismus ebenfalls: ..... außer dem Verstand
selbst. Das ist erklärungsbedürftig. Der Verstand selbst ist natürlich in den
psychischen Prozessen enthalten und wie wir u.a. aus der evolutionären
Erkenntnistheorie wissen, sind Individuen natürlich auch ausgestattet mit einem
Bild der Welt als einem Urbild, so daß man sehr wohl auch heute noch von einem
verständigen Begriff von Widerspiegelung
und Abbild ausgehen kann. Das wollte ich nur andeuten, um klar zu
machen, daß es nicht in einem platten sensualistischen Sinne war, wie wir den
Begriff der »Widerspiegelung« aufgefasst haben - von Anfang an nicht -
wenngleich damals natürlich ein Stück naiver als heute. Der Grundgedanke war
die Frage nach der Erklärbarkeit der geistigen Behinderung, wenn der Prozess
der Widerspiegelung durch eine Hirnschädigung gestört ist. Im Sinne einer
weiteren Annäherung hatten wir jetzt eine Kategorie, die am Subjekt festmachbar
war und mit der die Reaktionsweisen des Subjekts zwischen Biologie und Sozialem
neu modelliert werden konnten. In diesem Kontext waren dann Leont‘evs “Probleme der Entwicklung des
Psychischen” augenöffnend. Warum? Weil Leont‘ev
dort den Begriff der »funktionellen Hirnorgane« einführt, der uns bis dahin
völlig unbekannt war. Das heißt, das Großhirn ist in der Lage, Organe zu
bilden, also komplexe funktionelle Verbindungen herzustellen. Damals wurde das
vor allem auf dem Hintergrund von Bernsteins
Physiologie gedacht - Leont‘ev
war mit Bernstein eng befreundet, was vielleicht weniger
bekannt ist - vor allem aber auch auf
der Basis von Anochins
Physiologie, eine hochmoderne Konzeption, und heute können wir es im Sinne von Edelmans neuronalem Darwinismus denken.
Dies ist nach wie vor eine absolut aktuelle Denkform über die Herausbildung der
psychischen Prozesse im Menschen vermittels der Aneignung der Welt in den
Prozessen des Gehirns. Das hat dann natürlich die Fragen spezifiziert und beide
Seiten - das Biologische und das Soziale - in ein anderes Verhältnis gestellt.
Das ist in “Sozialisation und Behinderung” noch nicht geleistet, weil ich die
kulturhistorische Psychologie noch nicht kannte. Aber ich war damals, wie
gesagt, auf einem eigenständigen Weg, die kulturhistorische Psychologie noch
einmal zu erfinden, denn die Kategorie »Isolation« war schon so angelegt, daß Leont‘ev dann nur noch den letzten
Baustein lieferte, um zu sehen, dass es die veränderten hirnorganischen
Prozesse sind, die den Menschen in ein anderes Verhältnis zur Welt und zu
anderen Menschen bringen und - wenn die anderen Menschen dieses Verhältnis
nicht kompensieren - dann hat dieser Defekt seine eigene Folge in der
Sozialisation zur »Behinderung«.
Georg Feuser
Wolfgang, ich bleibe noch bei der Erinnerungsarbeit.
In der Zeitschrift für Heilpädagogik erschien 1976 im Heft 7 die Zusammenfassung
eines Kolloquiums zum Begriff der “Behinderung”. Verschiedene Autoren nahmen
unter unterschiedlichen Aspekten auf den Behinderungsbegriff Bezug. Bedeutend
erscheinen mir Deine Abhandlung und die von Bleidick. Er arbeitet einen
personorientierten, interaktionistischen, systemorientierten und
gesellschaftstheoretischen Begriff von Behinderung heraus. Jedem schreibt er
nur eine begrenzte Erklärungskompetenz in bezug auf den Gegenstand zu. In
Deinem Beitrag arbeitest Du - wie schon in der “Demokratischen Erziehung” vom
gleichen Jahr, ein Verständnis heraus, das in die zentrale Kategorie der
“Isolation” mündet.[xvi] Diesbezüglich möchte ich zwei Ebenen ansprechen:
S Den Beginn eines Paradigmenwechsels, den ich in meiner Arbeit “Zum Verhältnis von Sonder- und Integrationspädagogik - eine Paradigmendiskussion”[xvii] für die Heil- und Sonderpädagogik verneine, weil er sich, im Gegensatz dazu, wie oft zu lesen ist, nicht in dieser, sondern in der (kritischen und materialistischen) “Behindertenpädagogik” konstituiert hat und
S die Begründung einer monistischen versus einer etablierten dualistischen Auffassung des Phänomens der Behinderung wie der philosophischen Grundlagen einer »Heil- und Sonderpädagogik« versus einer »Behindertenpädagogik«.
Wie siehst Du beide Momente?
Wolfgang Jantzen
Fangen wir mal mit Ulrich
Bleidick an. Du erinnerst Dich, damals war ich noch 2. Vorsitzender im
Landesverband Hessen des Verbandes Deutscher Sonderschulen (VDS), und Du warst
Referent für Geistigbehindertenpädagogik auf Bundesebene. Wir waren am
Bodensee, ich komme jetzt nicht mehr auf den Ort, auf einer Konferenz des
Verbandes. Und dort hatten wir eine Diskussion mit Ulrich Bleidick. Zu allem, was Du sagtest, hatte Bleidick
immer ein “Ja, aber ...” gebracht. Es ging immer wieder um Öffnung der Schule
für Geistigbehinderte und der Debatte um die Schule für Geistigbehinderte für
neue Fragen. Da hast Du irgendwann zu Bleidick
gesagt: “Herr Bleidick, wir wollen nicht neue Zäune um alte Häuser bauen”. Das
habe ich wahrgenommen, ein Weilchen gewartet in der Diskussion - diese ging
weiter und Herr Bleidick baute
immer neue Zäune um alte Häuser - dann habe ich meinen Beitrag mit den Worten
eröffnet: “Auch wenn Herr Bleidick sich hier wie ein Zaunkönig aufführt .....”
Das hat zu etwa 2 Minuten Pause im Bundesausschuss geführt, weil alle außer Bleidick vor Lachen auf den Tischen
oder unter den Tischen lagen. Was ich damit sagen will: Was Bleidick im Rahmen
des angesprochenen Kolloquium tut, ist ein Stück Strategie und ein Stück
Reaktion und zwar auf “Sozialisation und Behinderung”. Ich glaube, es kann sich
heute keiner mehr vorstellen, wie dieses Buch im Fach eingeschlagen hat. Ich
habe das damals ja selbst auch nicht bemerkt. Ich merke es nur an der
Langzeitwirkung, daran, wo das überall zitiert wird. Jetzt wird es noch in
einer Studie über Armut und Ungleichheit zitiert unter dem Aspekt, ob unter
Bedingungen von Behinderung eher Armut eintritt, was als Allgemeines verneint,
für Teilpopulationen aber festgestellt wird.[xviii]
D.h., für Sozialwissenschaftler aus völlig anderen Bereichen hat das Buch 26
Jahre nach Erscheinen noch Wirkung. Wo eine Debatte über die Geschichte der
Behindertenpädagogik geführt wurde, wurde zunächst immer wieder auf dieses Buch
Bezug genommen; es muß wie eine Bombe eingeschlagen haben. Was man selbst so
etwas geschrieben hat – ich hatte es einfach als Vorlesung erarbeitet und
publiziert – bemerkt man das selbst gar nicht so. Aber es hatte weit, weit mehr
Auswirkung als der Artikel im Argument zu “Theorien zur Heilpädagogik”, der
interessanter ist, weil er methodologisch schon sehr viel mehr als Programm
entwickelt ist als dies “Sozialisation und Behinderung” einlöst. Also
methodologisch ist der Artikel “Theorien über Heilpädagogik”[xix]
interessanter; vom Ausführen her ist natürlich “Sozialisation und Behinderung”
der erste richtig große Schritt. Daraufhin hat Bleidick seine Abwehrstrategie aufgebaut und die Konstruktion
der Paradigmen. Wenn er genau hingeschaut hätte, hätte er im Jahrgang 1973 des
“Mitteilungsblattes des Verbandes Deutscher Sonderschulen, Landesverband
Hessen, damals noch
“Behindertenpädagogik in Hessen” genannt, später und heute nur noch
“Behindertenpädagogik”, meinen Beitrag zur Behinderung lesen können, ein
klassisch interaktionistischer Definitionsversuch. Aber nachdem Herr Bleidick sich so festgelegt hatte und
zudem noch mit Theorien konfrontiert wurde, die ganz klar auf eine psychologische
und auch auf eine neuropsychologische Ebenen zielten, wäre seine ganze Abwehrstrategie
zusammengebrochen, wenn er etwas anderes versucht hätte. Also sind von da an
diese vier Paradigmen durch die Welt gegeistert und vehement verteidigt worden
mit dem einzigen Grund, durch die Postulierung, dass das, was wir machen
würden, ein politökonomischer Ansatz sei, ich betone den Ausdruck des
»politökonomischer«, weil damit eine assoziative Nähe zu »Politkommissar« und
anderen Wortschöpfungen abwertender Natur hergestellt werden konnte, aus dem
einzigen Grund also, uns zu isolieren, auszubrennen: Also – neue Zäune um alte
Häuser. Das ist der Kern der Debatte.
Mit einem sozialwissenschaftlichen und
naturwissenschaftlichen Paradigma-Begriff hat das, was Herr Bleidick dort geschrieben hat
überhaupt nichts zu tun. Es ist bar jeder Kenntnis in dieser Debatte. Ich will
einen der Bezugsautoren in dieser Debatte zitierten, Steven Toulmin, der Anfang der 60er Jahre noch vor Kuhn den Paradigmabegriff als ein
Standardmodell der Naturordnung definierte.[xx]
Ein Standardmodell der Naturordnung ist beispielsweise der Aristotelische
Bewegungsbegriff, der definiert ist durch die Causa finalis, also durch das
Ziel, wohin die Bewegung geführt wird. Die Fahrt eines Schiffes ist also durch
den Ankunftshafen Piräus definiert. An diesem Beispiel macht Toulmin deutlich, was ein
Paradigmawechsel im Sinne des Standardmodells der Naturerkenntnis ist. Der
nächste erfolgt zu Galilei. Bei Galilei ist die Bewegung des Schiffes
nicht mehr durch das Ziel bestimmt, das Schiff würde unendlich lange auf dem
Ozean fahren, wenn nicht die Reibung wäre. Der Paradigmawechsel zu Newton ist dadurch bestimmt, daß das
Schiff auf gerader Linie in den Weltraum segeln würde, wenn nicht die
Schwerkraft wäre und man könnte jetzt hinzufügen, der Paradigmawechsel zu Einstein ist dadurch hervorgebracht,
dass alle auf dem Schiff Lebenden, würde es mit Lichtgeschwindigkeit in den
Weltraum fliegen und zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Erde zurückkehren, ihre
eigenen Enkel im Alter ihrer eigenen Großeltern wiederfinden könnten. Das sind
Paradigmawechsel, nichts anderes. Kuhn
selbst, auf den Bleidick sich
vorgeblich bezieht, beschreibt die soziale Situation des Paradigmenwechsels
sehr dicht am Material, sehr interessant auch, aber im wesentlichen natürlich
rekurrierend auf Ludwik Fleck,
der die Sozialgebundenheit des wissenschaftlichen Erkennens beschreibt, daß
nämlich ein Paradigmawechsel immer in die Gemeinschaft der Wissenschaft
eingebettet ist[xxi] usw. usf.
Und von allem dem ist bei Bleidick
nicht die Rede. Nun fragen wir aber: Ist das wirklich ein Paradigmawechsel, den
wir vorgenommen haben? Ich denke, ja.
Was wir gemacht haben ist ein Paradigmawechsel. Es war
ja nicht nur der Begriff der »Isolation«, mit dem gearbeitet wurde. Der Begriff
der Isolation war ein Begriff, der den Übergang der biotischen und persönlichen
Ebene modellierte. Ich habe später noch deutlich gemacht, dass für den
Übergang der persönlicher Ebenen und
sozialen Ebene vielleicht der Begriff der »Entfremdung« besser geeignet ist.
Damals, in diesem Kolloquium, habe ich auf der sozialen Ebene damit insistiert,
Behinderung auch unter dem Aspekt Arbeitskraft minderer Güte zu sehen. Das war
natürlich Wasser auf Bleidicks
Mühlen bzw. ein ordentliches Salär für sein Zaunbaugeschäft. Gut. Weshalb
Paradigmawechsel? Mit dem Begriff der Isolation ist in die Behindertenpädagogik
eine strikt relationale Betrachtungsweise eingeführt worden, die Isolation
immer an der Bewegung des Entwicklungsprozesses zu jedem Zeitpunkt desselben
festgemacht hat. Es hat schon noch gedauert, bis das auf Entwicklungsprozesse
herunter dekliniert war. Aber Isolation beschreibt eine konkrete Situation
unter isolierenden Bedingungen und es hängt von der Bewegung des Subjekts ab,
ob die isolierenden Bedingungen zur Isolation führen. Man kann sagen, es ist
ein strikt transaktionaler Prozess zwischen allen Beteiligten und man kann die
Genesis dieses Prozesses nur enthüllen, wenn man relational denkt, wenn man von
allen möglichen Gesichtspunkten her jeweils alle anderen denkt. Das ist im
Grunde eine nachrelativistische Sichtweise. D.h., wir haben einen Sprung
gemacht, direkt von einem Aristotelischen Paradigma im Übergang zum
Galileischen in das nachrelativistische Paradigma - aber das hat niemand
verstanden.
Natürlich habe ich den Begriff der “funktionellen
Hirnorgane” von Leont‘ev
übernommen, aber darüber hinaus habe ich noch nichts von der kulturhistorischen
Theorie gehabt. Ich habe auch andere Teilstücke übernommen, sie aber noch nicht
denken können, denn ich habe sie für das, was ich schon gedacht habe, als Beleg
durch befreundete Wissenschaftler genommen, die die gleiche Blickrichtung haben
und somit die kulturhistorische Schule selbst noch ein Stück weit erfunden.
Aber auch eine konstruktivistische Theorie lange, lange bevor vom
Konstruktivismus im Fach die Rede war.
Was heißt das nun für die Ebene der Biologie, für die
Ebene der Ökonomie und für die jetzt dazwischen entstehende Ebene der
Psychologie? Für die Ebene der Biologie heißt es: Das Gehirn als Organ hat zu
begreifen, daß unter Bedingungen seiner Selbstorganisation funktionelle
Organsysteme entwickelt. Neuronaler Darwinismus heißt das heute bei Edelman und entscheidend für diese
Selbstentwicklung ist natürlich die Bekräftigung der eigenen Wahrnehmung durch
Handlungen. Das ist relativ früh schon durch die Rezeption von Leont‘ev aber auch noch mal durch die
Rezeption von Anochin mit
eingegangen. Leont‘ev hat aber zu
mehr geführt. Das Problem geistiger Behinderung bedeutet ein so elementares
Zurückwerfen auf Minimalia der Möglichkeiten, ein Zurückwerfen darauf, sich ohne
umfassendste, fremde Unterstützung zu sozialisieren, daß man selbstverständlich
auch noch nach der Genesis der da hineinwirkenden biotischen Prozesse fragen
muss. Das hat für mich bedeutet, mich sehr ausführlich mit Epigenetik zu
beschäftigen, also der Frage nachzugehen, wie die embryonalen Konstruktionen
nach der Verschmelzung von Ei und Spermium stattfinden. Ich habe übrigens, was
kaum jemand weiß, an der Universität mehrfach Veranstaltungszyklen über
vorgeburtliche Entwicklung der Psyche und der Tätigkeit abgehalten; natürlich
eingebettet in die Frage der epigenetischen Konstruktion.
Leont‘evs Bemerkung, erhärtet durch Forschungen, daß auch die
Hautzellen des Menschen noch sensibel für Licht sind - er hat das mit der
einfachen Sensibilität früher Lebewesen in Verbindung gebracht - hat mich dazu
geführt, auch seinen Ansatz der Genesis des Psychischen in der Naturgeschichte
noch mal grundsätzlich zu hinterfragen, Reduktionismen, die ich meine, bei Leont‘ev zu sehen, aufzudecken und auch
hier evolutionsbiologisch und naturhistorisch eine gewisse Alternative zu
erarbeiten, die zwischen Leont‘ev
und einer evolutionären Erkenntnistheorie liegt. Auf der anderen Seite ist auch
weiter spezifiziert worden, was damals im Rahmen des Kolloquiums in die
Bestimmung der politischen Ökonomie mit einging und der resultierende nächste
Spezifizierungsschritt war das Buch “Soziologie der Sonderschule”, in dem ich
mich sehr ausführlich mit einer Reihe von Thesen der damals in den Sozialwissenschaften
im linken Spektrum heiß diskutierten Frage um die produktive und unproduktive
Arbeit auseinandergesetzt habe. Eine pädagogische Arbeit ist wertschaffende
aber unproduktive Arbeit, weil sie nicht direkt an der Güterproduktion teilhat
usw. Das sind wichtige Bestimmungen, um soziologisch weiterzukommen - dass wir
nicht so weit waren, wie wir heute sind, damals Bourdieu nicht gekannt haben, das ist einfach der Verlauf von
Geschichte, aber das Kategoriengefüge war an dieser Stelle relational angelegt,
nicht starr. Und dazwischen ist Stück für Stück im Kontext des Begriffes der
Isolation eine neue Psychologie entstanden. Sie taucht erstmalig in einer
Auftaktsammlung auf, die bei Pahl Rugenstein in Köln 1978 erschienen ist:
“Behindertenpädagogik, Persönlichkeitstheorie, Therapie”. Sie ist vor allem mit
den Studierenden meines ersten Projekts an der Universität Bremen erarbeitet
worden. Isolation führt, den Gedanken habe ich von Dir aufgenommen, zu einer
»inneren Reproduktion der Isolation« und dem sind wir nachgegangen und haben
verschiedene Ebenen festgestellt. Isolation wirkt zunächst als Über- oder
Unterstimulation auf der Wahrnehmungsebene. Sofern das Individuum über
entsprechende kognitive Schemata verfügt, ist das kein Problem, das wird
bewältigt. Wenn es nicht über kognitive Schemata verfügt, es zu bewältigen,
kommt ins Spiel, ob es sich solche über Kooperation holen kann. Wenn es also
gelernt hat, zu kooperieren oder technische Hilfsmittel zu Verfügung hat, wird
das Problem auch bewältigt. Erst danach kommen emotionale Prozesse, Stress und
verschiedene psychopathologische Umbildungen massiv ins Spiel. D.h., nach 1978
war dieses konstruktivistische Modell der Isolation für die Prozesse des
Psychischen bereits mit einem Handlungsregulationsmodell versehen und
ausgebaut, was dann dazu führte, nach der Entwicklungspsychologie zu fragen -
nach mit der zunehmend erschließbaren Tätigkeitstheorie der kulturhistorischen
Schule verknüpften Theorien, aber auch
nach allen anderen. Es galt festzustellen, daß das Problem der inneren
Differenzierung der psychischen Prozesse eben nicht alleine mit einer
Handlungsregulationstheorie zu lösen ist. Das deute ich jetzt nur an. Aber
diese entscheidenden Grundlagen sind gesetzt worden und aus diesen Anfängen
heraus wurde eine systematische, relationale Wissenschaft entwickelt, die auf
der Ebene der Soziologie keinerlei
Schwierigkeiten hat, anschlußfähig zu sein gegenüber einer relationalen Theorie
bei Bourdieu, das ist schon in
der “Allgemeinen Behindertenpädagogik” zu lesen, keinerlei Probleme hat, mit
einer konstruktivistischen Biologie umzugehen, wie sie in der Debatte um die
Epigenese, um die Theorien von Waddington
und anderen kommt, und natürlich erst recht keinerlei Probleme hat, einen
Konstruktivismus innerhalb der Psychologie aufzunehmen, wenn er kommt. Ich
behaupte aber, lange vor dem Konstruktivismus Maturanas
war diese Theorie in sich schon konstruktivistisch und durch den Rekurs auf Anochin, Bernstein, Leont‘ev und
Vygotskij in sehr viel höherem
Maße mit Kategorien ausgestattet als es die Maturana-Theorie
bis heute ist. Insofern war es wirklich, denke ich, ein echter
Paradigma-Wechsel aber mit Überspringen von bestimmten Stufen, wenn ich mich
auf Toulmin beziehe.
Georg Feuser
Wolfgang, könntest Du im Kontext Deiner Ausführungen
doch noch einmal mit ein paar Worten auf das Verhältnis Monismus – Dualismus
eingehen?
Wolfgang Jantzen
Das ist natürlich eine Kernfrage einer Humanwissenschaft. Was deutlich ist, daß wir - ich sage jetzt »wir«, weil es immer viele Leute waren, mit denen ich zusammengearbeitet habe, denen ich meine Ideen schulde - niemals einem mechanischen Materialismus das Wort geredet haben. Wir haben auch niemals einem Dualismus das Wort geredet. Aber wie kann man dann Ideelles und Materielles zusammendenken ohne letztlich nicht doch in der dualistischen oder parallelistischen Falle zu laden? Selbst Leont‘ev hält Vygotskij vor, in seinen Materialien über das Bewußtsein 1989/90 in der Activity Theory posthum publiziert[xxii], daß es eine unlösbare Frage sei, d. h. selbst Leont’ev hat im Kern das Problem des Dualismus zwischen sozialen und psychischen Leib und Seele usw., an irgend einer Stelle nicht für lösbar gehalten. Bei Vygotskij ist es nicht ganz klar zu sehen, was er davon hält. Man kann nur sehen, was er damit macht. Zumindestens ist es ganz deutlich, daß Vygotskij immer nach einer monistischen Variante strebt, die zugleich eine konstruktivistische ist, wie in “Konkrete Psychologie des Menschen” herausgearbeitet wird.[xxiii] Der Mensch erlebt seine Situation in der Situation seines Erlebens der Umwelt als Drama unter dramatischen Umständen und lebt in diesen dramatischen Umständen mal mehr oder mal weniger dramatisch. Also insofern ist eine konkrete Psychologie erst einmal eine dramatische, subjektbezogene Psychologie. Aber wenn man nochmals zurückgeht: Der Kern aller zu lösenden Dualismen ist natürlich das Leib-Seele-Problem. Und dann haben wir ja noch aus dem vorigen Jahrhundert die berühmte Aussage von DuBois-Reymond: Ignoramus – ignorabimus = Wir wissen es nicht und wir werden es nicht wissen. Und ich denke, auch viele heutige Theorien, nein, fast alle heutigen Theorien gelangen bestenfalls, bei dem Versuch das zu klären, bis zu irgendeiner Art Parallelismus. Dieser Parallelismus kann heißen: Es gibt zwei eigenständige Ebenen vom Psychischen und Sozialen, was letztenendes .. oder vom Psychischen und Biologischen, muß noch mal anders sagen: Letztlich sind das ... ist das die cartesianische Frage, ob ich erkennende Substanz und ausgedehnte Substanz irgendwo in Verbindung bringen kann, was Spinoza behauptet, daß also Erkennen und Ausdehnen zwei Attribute einer Substanz sind, oder ob es eigenständige Entitäten gegenüber einander sind. Das Psychische wird im modernen Materialismus, nehmen wir mal Roth und Flohr an unserer Universität, als Epiphänomen der biologischen Prozesse betrachtet. Und natürlich kann ich das Psychische auch als Epiphänomen des sozialen Prozesses betrachten, das war Leont’evs Vorbehalt gegen Vygotskij, der vermutet hat, daß Vygotskij zu dem Zeitpunkt den Weg der französischen Soziologie gegangen sei. Wenn man das nicht tut, was ist die eigenständige Existenz des Psychischen? Man kann ein Stück weitergehen und kann sagen: Die eigene Existenzebene des Psychischen ist die Sprache, damit verlagert man den Dualismus in die Sprache. So hat es Chomsky getan, etwa in seiner cartesianischen Linguistik, aber trotzdem, wie kriegt man den Monismus, das Beste ist Parallelismus, was alle kriegen. Und nun knüpfe ich an dem Punkt anders an. Ich glaube, daß eine Lösung dieses Leib-Seele-Problems oder des Gehirn-Psyche-Problems, nehmen wir das erstmal, darin liegt, daß der Parallelismus lokal ist und daß er monistisch immer wieder global gebrochen wird. Folgendes Beispiel: Freeman hat diese sehr schöne Vorlesung “Societies of brains” in der Wahrnehmung des Spinoza-Lehrstuhls in Amsterdam gehalten.[xxiv] Und im Einleitungskapitel macht er klar, daß man das Gehirn keinerlei äußerem Determinismus unterwerfen kann, an folgendem Beispiel: Wenn ein Kaninchen irgend etwas wahrnimmt, nehmen wir an eine Mohrrübe, dann verschwindet dieses Bild der Mohrrübe, daß sich über evozierte Potentiale in den Sinnessystemen ableiten kann, in den Hintergrundmustern des gesamten Gehirns, Es ist spurlos verschwunden. Im Falle Mohrrübe darf ich annehmen, daß es so in den Hintergrundmustern des Gesamtgehirns verschwindet, daß es ohne Interferenzen verschwindet, sondern bestimmte Phasen verstärkt. Wäre es aber keine Mohrrübe sondern irgend etwas höchst Unangenehmes, was dem Kaninchen passiert, würde das zu Interferenzen führen, d. h. zu Interferenzen mit der Geschichte des Gehirns, die sich, so Edelman als remembered present – also erinnerte Gegenwart – realisiert. D. h. das Gehirn konstruiert in jedem Augenblick was gut für es ist und insofern, als es auch rekonstruiert, was gut für es gewesen ist, verfügt es über Handlungsalternativen über die bloße Gegenwart hinaus und diese brechen die bloße Gegenwart. Was ist aber dann parallel? Die Physiologie, Psychologie eines Teilbereichs der Wahrnehmung ist in sich parallel. Aber da sie gleichzeitig in Interferenz zum gesamten Muster des Gehirns besteht, besteht keine Parallelität zwischen Teilbereich und Gesamtmuster. Also die Parallelität existiert ständig lokal und wird global immer wieder gebrochen. Das ist die Lösung, die man eigentlich anbieten kann. Und gebrochen werden kann sie natürlich nur durch die individualisierte Erfahrung, durch die individualisierte Weltkonstruktion, wie es auch die Konstruktivisten schon sehen, in die selbstverständlich Urbilder hineingehen, und die vergesellschaftet werden kann über sozialen Austausch der von Anfang an gegeben sein muß, also über sozialen Austausch gemeinsam konstruierter Zeit, die die Grundlegung allen Lernens ist, so daß wir zudem überindividuelle Organisationsprozesse haben, die den lokalen Parallelismus des Gehirns ständig wieder brechen. D. h., das Gehirn verfügt über einen Inhalt, der nicht sein eigener ist, sondern der Inhalt der Welt ist, so hat es Leont’ev mal ausgedrückt. Soweit zu diesem Problem, was wirklich ein eminent schwieriges und komplexes Gebiet ist. Aber ich denke zumindest von den Anfängen her, es war richtig, nach einer solchen monistischen Lösung zu suchen und sie läßt sich herstellen. Wie weit sie tragfähig ist, das muß hier erst einmal der wissenschaftliche Diskurs überprüfen, aber sie löst zumindestens eine Reihe von theoretischen Fragen mehr als die mir im Moment bekannten anderen Modelle zum Leib-Seele-Problem. Sie bedarf natürlich noch mal der Publikation, ich habe das schon mal vorgetragen bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, bei deren Philosophischen Arbeitskreis, also bei den abgewickelten DDR-Philosophen. Das war höchst interessant, ich habe viel Anerkennung dafür bekommen, aber in der Form ist es noch nicht publiziert.
Wir sind uns, wenn ich es recht erinnere, 1968 in
Gießen begegnet. In den letzten Monaten sind die 68er bis ins
Parlament hinein ‘wiederbelebt‘ worden, um sie - und damit eine ganze
Generation - erneut zu diffamieren und dadurch geistig zu vernichten. Wie hast
Du diese Debatten - auch in Relation zur Gewaltfrage - aufgenommen und welche
Bedeutung hatte diese Bewegung für Deine Arbeit als Lehrer an der Anna-Freud-Schule
in Lich und Deiner späteren wissenschaftlichen Tätigkeit am Institut für Heil-
und Sonderpädagogik der Philipps-Universität Marburg?
Wolfgang Jantzen
Diese Debatte ist an mir runtergeronnen wie Regen von
einem Ostfriesennerz (einer gelben Regenjacke) weil ich nicht die Wirklichkeit
darin sehen kann, die es wirklich gehabt hat. Es hat in der 68er–Debatte einen
Bruch mit einer Geschichte gegeben, die nach 1945 fortgeschrieben wurde. Man
muß sich nur die Kulturberichterstattung über diese Zeit durchlesen, man muß
sehen, wie die alten Kriegshelden gefeiert wurden, wenn sie aus den
Gefängnissen herauskamen, wie die Kommunisten wieder diffamiert wurden usw. Das
habe ich damals alles nicht so wahrgenommen, weil ich ja in einer ganz anderen
Sozialisation groß geworden bin. Bei uns zu Hause sah das so aus: Der
Bücherschrank war voll mit Kriegsbüchern. Ich habe mit Begeisterung das Buch
über Narvik gelesen und viele andere Dinge. Ich habe also eine ganze Ideologie,
die einfach präsent war, voll in mich hineingesogen. Und das war überall so.
Man darf nicht so tun, als ob da nach 1945 ein Bruch gewesen wäre. Man darf auch
nicht so tun, als ob ein Bruch dadurch zustande käme, dass oberhalb unserer
Generation alle ausgestorben sind und wir und jüngere nicht mehr aktiv durch
den Hitlerfaschismus sozialisiert worden sind. Wir waren 4 Jahre alt als das
System zusammengebrochen ist, die Sozialisation ist aber lange, lange, lange
Jahre in diesem Sinne weitergegangen. Aber 1968 gab es einen Bruch damit. Wir
haben uns unserer eigenen Väter entledigt, das hat Mitscherlich schon ganz richtig gesehen, und unsere Existenz
neu gegründet, indem wir nach unseren geistigen Vätern gesucht haben. Ich hatte
vorhin z.B. schon einmal auf Walter
Benjamin verwiesen. Die Frage, die sich stellt, ist, wie der historische
Materialismus geschichtsmächtig werden kann, fragte er in seinen geschichtsphilosophischen
Thesen,[xxv]
indem er sich mit der verachteten Theologie verbündet und in striktem
Atheismus, der erhalten bleibt, die schwache messianische Kompetenz wahrnimmt,
die jeder Generation bleibt, nämlich die Geschichte gegen die Geschichte der
Sieger zu schreiben. Es geht darum, die Geschichte der Unterlegenen präsent zu
halten und deren Hoffnungen ein Stück weit einzulösen, indem ein anderes Leben
realisiert wird. Nichts anderes haben die 68er getan, nichts anderes haben sie
versucht - mit allen menschlichen Schwächen, allen Korruptionsversuchen, allen
persönlichen Fehlern, allen Verirrungen. Das alles ragt da hinein. Aber dieses
entscheidende Nein-Sagen, das war präsent. Ich erinnere mich - und ich
gebrauche bewußt dieses Wort - als nach dem »Mord« an Benno Ohnesorg
und dem Attentat auf Rudi Dutschke die großen Demonstrationen
erfolgten. Da zeigte sich, wie groß die Empörung war und wie einfach ein
Schlußstrich gegenüber allen denen gezogen wurde, den wir bisher immer noch
versucht hatten, zu glauben. Und in der Folge zeigte sich, daß dieses
Schlußstrich-Ziehen, auch berechtigt war. Wir haben ja auch im Verband
Deutscher Sonderschulen versucht, uns vernünftig mit der Generation vorher zu
verständigen. Aber allein die Tatsache, daß wir versucht haben, einen
Kollektiv-Vorstand zu machen, also nichts anderes, als uns die Arbeit
aufzuteilen, hat zu fürchterlichen Auseinandersetzungen über ganz Hessen
geführt, die von den Leuten geführt wurde, die genau den alten
ordnungsstaatlichen, autoritären Denkformen so verhaftet waren, daß das bis in
eine menschenverachtende Sprache hineingegangen ist. Ich erinnere an einen
damaligen Oberschulrat beim Regierungspräsidenten in Darmstadt, der in einem
Papier zu “Die Ausdrucksdiagnostik von Hilfsschülern” die Begriffe “hündisch”
und “obszön” zur Kennzeichnung von Hilfsschülern vorgeschlagen hatte. Ich
erinnere an einen anderen Oberschulrat, der aktiv bei der Wehrertüchtigung von
Hilfsschülern für die Nazi-Wehrmacht beteiligt war. Diese Gegensätze haben sich
natürlich alle und auf jeder Ebene gebrochen, auch wenn wir noch so freundlich
waren, entgegenkommend im persönlichen Bereich, natürlich kontrovers im
Politischen - es gab überhaupt keine Chance etwas auf dem Verhandlungswege zu
erreichen. Es ging auf Biegen und Brechen und wo wir es mit Biegen versucht
haben, ließ sich nichts biegen. Das gleiche geschah auch mit den großen
Kontroversen im Fach. Ich habe mir keine dieser Kontroversen an Land gezogen;
sie sind gegen uns eröffnet worden.
Mit den in diesem Kontext entstandenen Fragen, was ja
auch Verantwortung aufwirft, habe ich mich lange Jahre auseinandergesetzt. Mit
der Frage z.B., ob der Weg der RAF berechtigt ist, war die Auseinandersetzung
schon Anfang der 70er Jahre eine um die Frage der Gewalt. Die
Auseinandersetzung war längst geführt, bevor Fischer
seine Straßenschlachten gemacht hat. Vieles hat überhaupt nicht mit 1968 zu
tun, sondern ist eher eine Art Nachbewegung. In der ganzen Debatte geht auch
völlig unter, daß ein wesentlicher Zweig der 68er Bewegung nicht in den schwarzen
Flügel gegangen ist, aus dem z.B. Fischer
und Trittin kommen, sondern in
den roten Flügel, der diese Republik auch entscheidend verändert hat, indem er
z.B. die Friedensbewegung wesentlich mitorganisiert hat usw. usf.. Also, die
gegenwärtige Debatte geht mir ohne jede Bedeutung runter - ich weiß woher die
Debatte kommt.
Ich sprach von Benno
Ohnesorg und Rudi Dutschke und dem Bewußtseinsbruch,
den das damals hervorgebracht hat. Wenn man den Autoritäten nicht mehr glauben
konnte, was sollte man dann glauben? Woher sich neu orientieren? Ich glaube,
daß in diesem Umbruch letztlich auch ein Stück eigener Umkehr stattgefunden
hat. Ich will das an einem Beispiel zeigen: Ich bin ja in dieser Geschichte
sozialisiert worden, wurde in einer Familie groß - mein Vater war im Krieg
gefallen - in der beide Eltern aktiv in irgendeiner Form mit dem Nazi-System liiert waren, wurde von
meiner Großmutter großgezogen, die evangelische Pfarrersfrau war, einerseits
sehr liebevoll und andererseits autoritär bis in die Knochen - wie das halt so
war. Mit der Bibel ausgestattet und vor allem einem christlichen Humanismus,
der ganz dicht am Terrorismus gebaut war, wurde ich Lehrer. 1966, gleich nach
dem Ersten Staatsexamen, also ohne Sonderschullehrer-Ausbildung, arbeitete ich
an einer Sonderschule für Lernbehinderte. Meine Rektorin, eine evangelische
Pfarrersfrau, sagte zu mir: “Herr Jantzen, Sie kommen da in eine Klasse, die
hat gerade einen alten Kollegen aus der Volksschule verheizt und da werden Sie
sich durchsetzen müssen - hauen Sie einfach drauf.” Und ich habe draufgehauen,
etwa 2 Jahre. Und im Umbruch in jener Zeit - das hat sicherlich auch etwas mit
den Diskussionen jener Zeit zu tun - habe ich eines Morgens einen Schüler
geohrfeigt. Der fiel um und ich bin furchtbar erschrocken, weniger weil er
umfiel, was schon schlimm war, sondern weil ich plötzlich dachte: “Mensch, was
machst du hier, was machst du hier?” Ich wußte, daß der Schüler morgens um 5
Uhr aufgestanden ist, daß er auf dem Hof helfen mußte. Das Ganze ging wie ein
Blitzlicht, wie ein Film im Zeitraffer durch meinen Kopf. Ich habe mich
fürchterlich geschämt. Nachdem wir uns einigermaßen alle wieder berappelt
haben, habe ich das meiner Klasse erklärt und gesagt, dass ich nie wieder ein
Kind schlagen werde. Das habe ich durchgehalten. Das war allerdings auch eines
der Belegstücke, die mir dann später in der Weise zugeschrieben wurden, dass
ich Schüler kommunistisch indoktriniert
habe.
Diese persönliche Umkehr, das ist ein wesentlicher
Punkt in jener Zeit, sich neu zu orientieren, sich woanders anzubinden. Ich
kann heute sagen, wie diese Anbindung funktioniert. Aber es kam noch etwas
hinzu. Es war ja eine außerordentliche Situation und wer das nicht erlebt hat,
der kann das nicht nachvollziehen: Es war Progrom-Stimmung. Das Attentat auf Rudi Dutschke zeigt nur die Spitze
eines Eisberges. In Provinzzeitungen, etwa in Gießen, in einem an alle
Haushalte verteilten Anzeigenblatt, glaube ich, gab es eine fürchterliche
Hetzkampagne auch unter Namensnennung von verschiedenen Leuten. Man konnte
nicht einmal den Begriff “Gesellschaft” oder “gesellschaftlich” in den Mund
nehmen, ohne geächtet zu sein. Die Aussage, “gesellschaftlich vermittelt”,
hatte eine Wirkung, als würde man heute den Bundeskanzler in einer
SPD-Versammlung als ein ausgemachtes Arschloch titulieren würde. Etwa diese Art
an Ächtung hat man sich zugezogen und wahrscheinlich damals noch mehr als man
das heute mit einer solchen Aussage tun würde.
Die damalige Bewegung hatte eine enorme Bedeutung,
weil ich im Kontext dieser Bewegung mit meiner bisherigen Sozialisation
gebrochen habe. Was war der Kernpunkt des Bruches eigentlich, warum habe ich
den vollzogen? Das ist eine Frage, die ich mir oft gestellt habe und heute kann
ich sie beantworten: Weil ich in diesem gedemütigten Jungen, der zusammenfiel,
als er diese Ohrfeige bekam, mich selbst wiederentdeckt habe, als jemand, der
seine ganzen Schuljahre hindurch auch gedemütigt wurde. Und damit war klar und
emotional begründet, warum ich das nie wieder tun würde. Das war nicht wegen
der Schüler oder irgendeiner äußeren Bedingung, es war wegen mir selbst, im eigenen Interesse, das nie wieder zu tun.
Das hat natürlich ungeheure Folgen gehabt für die Art, wie ich meinen
Unterricht begriffen habe, wie ich pädagogisch gearbeitet habe, wie ich gedacht
habe. Es hat so einige zentrale Umkehrungen in meinem Leben gegeben, aber das
war, glaube ich, die erste zentrale von sehr großer Wirkung.
Georg Feuser
Ausgehend von diesen Erörterungen könnten wir jetzt auch
zu Fragen der rehistorisierenden Diagnostik übergehen. Ich möchte aber noch in
dieser Zeit bleiben. Eine unserer damals gemeinsam getragenen Zielsetzungen war
unter anderen, im Verband Deutscher Sonderschulen - heute Fachverband für
Behindertenpädagogik (vds) - gegen eine traditionell-konservative, durch die
Vernichtung behinderter Menschen im Hitler-Faschismus kaum »geläuterte«
Auffassung über Behinderung und über die Erziehung und Bildung behinderter
Kinder und Jugendlicher, wirksam zu werden. Ich konnte, Du hast es schon
erwähnt, ab 1971 als Referent für Geistigbehindertenpädagogik im Bundesausschuß
des VDS tätig werden, Du im Landesverband Hessen (LV-H) auf Vorstandsebene.
Dort trafen wir wieder zusammen und bauten die Zeitschrift “Behindertenpädagogik”
auf.
Ich habe bei Renovierungsarbeiten in den vielen
Papierstapeln vor kurzem ein Schreiben wiedergefunden, in dem der damalige
Vorsitzende des LV-H im VDS in einem Rundschreiben an alle Mitglieder vor uns
warnt. Mit dem “Gelnhausener-Papier” wurde, durchaus auch aus VDS-Ecke mit
harten Diffamierungen Dein Wechsel an die Uni Marburg zu verhindern versucht.
Im Bundesverband arbeiteten wir uns - ich für 18 Jahre - an dem in seinen
Auffassungen teils reaktionären Triumvirat des Bundesvorstandes ab, das mit den
Namen Prändl als Vorsitzender und
Wenz als Geschäftsführer
verbunden ist, wie in der Schriftleitung mit den Herren Bleidick und Kanter.
Welche Bedeutungszumessung läßt Dich die Erinnerung an
diese Zusammenhänge aus heutiger Perspektive vornehmen?
Wolfgang Jantzen
Ich denke aus heutiger Perspektive, wir haben nichts
anderes getan als Demokratie eingeklagt. Und wir haben gleichzeitig eingeklagt,
das macht ja eigentlich dann den Ansatzpunkt des sog. Gelnhausener Papieres
fest, daß man dringend eine Debatte über eine Schule für alle führen muß. D.h.,
man kann sich eine Gesamtschule nicht vorstellen, wenn nicht Sonderschüler in
der Gesamtschule sind. Das war der eigentliche Punkt. Und das ist im
Gelnhausener Papier als Verhetzung zum Klassenkampf gekennzeichnet worden. Das
Gelnhausener Papier hat übrigens nichts mit meiner Berufung nach Marburg zu
tun. Ich war schon in Marburg, aber es gab durchaus Leute, die das versuchten
zu verhindern. Ich habe schon die Diskussion auf dem Vorschulkongreß in
Hannover erwähnt, 1970 war das, glaube ich, nach der es Anrufe gab. Und zwar
vom damaligen Vorsitzenden der Lebenshilfe in Marburg an das Marburger Institut
mit dem Hinweis, ob es denn wirklich nötig sei, einen so entsetzlichen Menschen
am Institut einzustellen. Ich will dazu keine Namen nennen, das wäre unfein,
weil die Personen schon verstorben sind. Aber dieser damalige Vorsitzende der
Lebenshilfe war übrigens auch einer, von denen Du gesprochen hast, der sich im
Hitler-Faschismus schuldig gemacht hat, in zumindest zwei nachweisbaren Fällen
von Gutachten zur Sterilisation von Hilfsschülern, wie wir es erst später
aufdecken konnten.
Aber lassen wir das. Diese ganze Generation hätte gut
daran getan hätte, einfach zu sagen: Wir haben das getan und wir stehen dazu,
und wir möchten uns ändern, anstatt ihre Verbrechen immer wieder zu vertuschen.
Was sie getan haben hätten wir wahrscheinlich in solchen Zeiten und in
vergleichbaren Situation auch getan. Ich muß an meine eigene Sozialisation
denken. Wenn ich Kinder geschlagen habe, hätte ich in anderen Verhältnissen
wahrscheinlich auch Gutachten für die Sterilisationen geschrieben. Aber in
einer Zeit, zu der es möglich war, das zu überdenken, es nicht überdacht zu
haben, das ist wirklich sträflich. Das war also die eine Ecke, aus der dieses
sog. Gelnhausener Papier kam. Ausgehend von dem Ort Gelnhausen, gruppiert um
eine Sonderschule, deren Rektor damals sinniger Weise auch mit im
Landesvorstand war, wurde das Papier als Petition dreimal an den Hessischen
Landtag geschickt, dreimal! Dies jeweils mit der Aufforderung, mich und zwei
Kollegen an der Universität Marburg, Herrn Probst
und Herrn Rittberg, aus dem
Dienst zu entfernen, also ein Berufsverbot zu verhängen. Schlicht und einfach
weil wir uns vehement dafür ausgesprochen haben, daß auch lernbehinderte
Sonderschüler an die Gesamtschule kommen, wegen nichts anderem. Das war das
Gelnhauser Papier, das dann der Zeitschrift für Heilpädagogik zugespielt worden
ist, die es natürlich gerne publiziert hat, um uns in der Öffentlichkeit zu
schaden. In bezug auf mich ist das durchaus gelungen. Es hat mir eine Bewerbung
in Köln, zu der Herr Kanter mich
animiert hatte, kaputtgemacht. Ich muß übrigens aus den Personen, die Du
genannt hast, Herrn Kanter
ausdrücklich herausnehmen. Herr Kanter
kommt aus einer antifaschistischen Familie. Er hat zwar zum Teil auch eine
Auffassung von Antifaschismus vertreten, in der man meinte, aus der
Familienerfahrung heraus bestimmen zu können, wie man sich verhalten muß, als
wir 1975 vehement gegen eine Südafrika-Reise von Sonderpädagogen interveniert
haben. Er hat sehr stark dagegengehalten. Auf der anderen Seite hat er damals
ein Buch von mir, “Der Grundriß einer allgemeine Psychopathologie und
Psychotherapie”, das 1979 erschienen ist, in der Zeitschrift für Heilpädagogik
außerordentlich fair besprochen. Herr Bleidick
hat sich in all den Jahren wirklich immer wieder als Wadenbeißer des Vorstands
offenbart. Er hat nie etwas zurückgenommen und teilte immer aus - bis hin zu
einer Diffamierungskampagne durch die gesamte Bundesrepublik nach dem
Zusammenbruch des Sozialismus, wo er mich wider besseren Wissen, er hätte nur
meine Leipziger Vorlesung[xxvi]
lesen müssen, überall als Stalinisten gekennzeichnet hat. Das war schon übel.
Ich habe meinen Frieden mit ihm in der Weise geschlossen, als ich einem alten
Mann und verdienten Kollegen nichts tue, aber die Geschichte bleibt Geschichte
und was darin demagogisch und eine Politik mit absolut unfairen und
undemokratischen Mitteln war, das bleibt das auch.
Zu den Herren Prändl
und Wenz muß ich nichts sagen.
Herr Prändl hat sich selbst
disqualifiziert, als er 1981 in Braunschweig die Integrationsbewegung eine
“italienische Seuche” genannt hat. Man muß wissen, was »italienische Seuche«
meint; das haben viele nicht gewußt. In einigen Regionen in Italien heißt es
die “französische Seuche” und damit ist nichts anderes als die Syphillis
gemeint. Die Integration ist also die Syphillis, die über uns gekommen ist. Ich
glaube, das muß man nicht weiter kommentieren. Das alles waren sehr bewegte und
interessante Zeiten, aber weiter darüber zu erzählen sprengt wohl den Rahmen
des Gesprächs.
Georg Feuser
Dein Ruf nach Bremen erfolgte 1974. Du warst der erste
Hochschullehrer des aufzubauenden Studiengangs “Behindertenpädagogik” an einer
noch sehr jungen Universität, an einer Reformuniversität. Heute, so meine
Sicht, wird sie zu einer nahezu ausschließlich an wirtschaftlichem Nutzen
orientierten, technologiedominierten Universität, die dem Lehrgebiet
Behindertenpädagogik allenfalls die Funktion eines »Blinddarms« im organismisch
Ganzen zugesteht. In Relation zur Ausgangssituation mit Aufnahme Deiner Lehr-
und Forschungstätigkeit entsteht die Frage, ob Dir, ob uns noch eine
Perspektive für die nächsten Jahre bleibt. Auf der anderen Seite sind z.B.
Kognitionswissenschaften seitens der Psychologie und Neurowissenschaften
seitens der Biologie allgemein hoch favorisierte Forschungsfelder. Das
Lehrgebiet Pflegewissenschaften ist relativ neu entstanden. Wie siehst Du Deine
weitere universitäre Tätigkeit mit Reflex auf die von mir angesprochenen
Bereiche und, so könnte man schon sagen, ihre geschichtlichen Dimensionen?
Wolfgang Jantzen
Wissenschaft ist kein gesellschaftsfreier Bereich.
Wissenschaft ist eine Zone, die sich wie alle sozialen Zonen oder Felder in
Bereichen von Macht und Ohnmacht ratifiziert und die in ein größeres
gesellschaftliches Feld der Macht eingebettet ist. Mit den Berufungen der
ersten Jahre, in einer Zeit, wo gesellschaftliches Denken, kritisches Denken en
vogue war, ist, unter Aufnahme der hochschulpolitischen Vorstellungen des DGB
mit grundsätzlicher Demokratisierung der Hochschule mit Drittelparität usw.,
eine Politik versucht worden, im Feld der Macht der real existierenden
Bundesrepublik andere Dimensionen von Lehre und Forschung zu etablieren. In dem
ersten Projekt an der Universität, das ich 1975 bis 1978 durchgeführt habe,
mußte ich gegenüber den Studierenden verteidigen, auch Veranstaltungen zu
nicht-marxistischen Themen gemacht zu haben, so z.B. dass ich George Herbert Meads “Geist Identität
und Gesellschaft” für einen absolut zentralen Text der Sozialwissenschaften
halte. Das ist übrigens im Rückgriff auf das interaktionistische Paradigma bei Bleidick, über das wir gesprochen
haben, ganz spannend. Denn zu der Zeit, als er das politökomische Paradigma als
Kennzeichnung für uns erfunden hat, habe ich demnach sein interaktionistisches
Paradigma gegen das politökonomische verteidigt. Dieses Projekt, das ich
zusammen mit Walter Heinz
veranstaltete, war insgesamt eine wunderbare Veranstaltung, die viel Freude
gemacht hat und durch die wir alle viel gelernt haben.
Dieses Feld der Macht war relativ stark. Und in diesem
Feld der Macht habe ich trotz unglaublicher Schwierigkeiten dieses Fach an der
Universität so sichtbar etabliert wie es, glaube ich, an keiner deutschen
Universität etabliert war und heute immer noch ist. Kein Fach im Aufbau ist so
beschossen worden, wie die Behindertenpädagogik. Dieses Feld der Macht ist
durch meinen Ruf auf die Wilhelm-Wundt-Professur 1987/88 enorm verstärkt
worden. Die Wilhelm-Wundt-Professur war eine Professur, die
in der DDR, in Leipzig, nach dem Weltkongreß für Psychologie eingerichtet
wurde, der der DDR enormes Ansehen auf dem Gebiet der Psychologie verschafft
hat. Friedhard Klix war lange
Vorsitzender der Weltorganisation der Psychologen und es gelang ihm, diese
Gastprofessur einzurichten, um Wissenschaftler aus dem Ausland holen und
bezahlen zu können. Das war einer der begehrtesten Lehrstühle in Europa. Ich
habe ihn als erster Bundesdeutscher 1987/88 wahrgenommen und auch als einziger
Bundesdeutscher eine Gastprofessur in der DDR gehabt, so lange sie bestand.
Darauf war unsere Universität hier mächtig stolz, obwohl der Umbruch schon da
war. Aber mit dem Verfall dieses Feldes der Macht und mit dem Verfall des
Realsozialismus ist das mir zugesprochene symbolische Kapital genauso entwertet
worden, wie die “Alu-Chips” (also das Münzgeld) der DDR. Dass ich mich nach wie
vor deutlich für das sozialistische Projekt engagiert habe, hat seinerseits in
bezug auf diese Entwertung nicht unbedingt positiv aufhaltend beigetragen. Ich
habe noch in den Umbruchzeiten in der DKP dafür gekämpft, daß diese eine
pluralistische kommunistische Partei wird und habe dann die PDS mitgegründet,
weil die PDS auf solch einem Pluralismus aufbaut und war leichtsinnig genug,
für den Bundestag zu kandidieren. Danach bin ich aus der PDS ausgetreten, weil
ich für bestimmte Dinge keine Verantwortung mehr übernehmen wollte, und bin
seitdem auch parteipolitisch ungebunden, aber das ist mir sehr übel genommen
worden. In dieser Zeit ist mein symbolisches Kapital an der Universität
sozusagen auf Null geschwunden. Ein außeruniversitärer Kollege, der einen
Professor der Neurowissenschaften gefragt hat, warum man denn mit mir bei dem
Projekt Kognitionswissenschaften und Neurowissenschaften nicht
zusammenarbeitet, dem ist gesagt worden “Jantzen ist ein viel zu heißes Eisen”.
Du spielst mit Deiner Frage noch auf andere Momente
der Zusammenarbeit an. Wir haben es ja in der Gründungsphase des Studiengangs
Gesundheitswissenschaften versucht, zusammenzuarbeiten und auch auf eine
fundamentale Theoriebildung in den Gesundheitswissenschaften hinzuarbeiten.
Aber sobald das in die Diskussion gekommen war, je mehr Theorie in die Diskussion
kam, desto geringer wurde das Interesse, das wahrzunehmen. Auf der anderen
Seite waren die Veranstaltungen dieses zu gründenden Studiengangs vehement
besucht, wenn es um Finanzen und Doktorandenstellen ging. Da gab es in den
Gesundheitswissenschaften so viele Leute auf einem Haufen, wie ich das an der
Universität noch nie gesehen habe, alle mit ihren netten, besonders langen
Mänteln und Lederköfferchen und alle mit interessanten empirischen
Fragestellungen aber alle mit wenig Interesse an Fragen einer theoretischen
Humanwissenschaft.
Was verstehe ich darunter? Einige Bemerkungen noch
dazu, damit das nicht so als Nebenprodukt erscheint. In der Physik ist es schon
seit dem 19. Jhd. selbstverständlich, nach verallgemeinerten Theorien zu
fragen. Von Maxwells Vereinheitlichung
von Magnetismus und Elektrizität bis hin
zur Quanten-Elektro-Dynamik reicht die Suche nach
einer gemeinsamen Theorie, wie gegenwärtig
nach der Vereinheitlichung von Relativitätstheorie und Quantenmechanik
geforscht wird. Ein bisschen hat das natürlich auch in die Biologie und in die
Chemie hineingewirkt. Aber in den Humanwissenschaften ist die Suche nach einem
solchen Paradigma außerordentlich gering, obwohl es große Vorläufer dafür gibt,
auf die man sich berufen könnte. Dies sowohl bezüglich der hochinteressanten,
modernen biologischen Systemtheorie-Debatte als auch bezüglich der Psychologie
und Psychoanalyse, insbesondere hinsichtlich der modernen Neuropsychoanalyse.
Aber auch die psychoanalytische Entwicklungstheorie, die von Piaget, Vygotskij, Leont‘ev
u.a. wären zu nennen, die unglaublich viel für die Etablierung einer
Humanwissenschaft einzubringen hätten, die etwas anderes ist als nur die
Ansammlung empirischen Wissens, die es leisten könnte, einen Brücke zur philosophischen Anthropologie zu
schlagen, die ihrerseits ein rudimentäres Dasein führt und eine moderne
Konzeption vom Menschen entwerfen könnte. Das ist etwas, was wir anzubieten
haben, was auch immer wieder in persönlichen Diskussionen anerkannt und auf das
zurückgegriffen wird, was aber an dieser Universität, so wie sie nach diesem
Machtvakuum ist, nicht mehr eingebracht werden kann.
Ich hatte für die “Europäische Enzyklopädie” von Sandkühler neun Artikel verfaßt. In der
“kontrastiv” angelegten neuen Enzyklopädie - sprich, in der an den main-stream
angepassten - es ist Herrn Sandkühler
unbenommen, da zu tun - gibt es keinen Artikel mehr von mir.[xxvii]
Es ist interessant, daß jeglicher Bezug auf das Problem Behinderung aus diesem
philosophischen Lexikon herausgenommen wurde. Das zeigt, daß das Fach an der
Universität vom Inhalt her längst nicht so verankert war, wie wir gedacht
haben, sondern, daß es einfach über bestimmte Konstellationen in einem Feld der
Macht verankert war, nicht in den großen Zusammenhängen der allgemeinen Politik,
sondern durch die Fachdebatte, die ich in einer Reihe von Fächern geführt habe,
die Du an anderen Punkten geführt hast. Ich habe natürlich in den
Sozialwissenschaften mitdiskutiert, ich habe in einer linken Debatte
mitdiskutiert, ich habe in der materialistischen Psychologie mit diskutiert, in
der Debatte um die Rezeption von Leont‘ev
und die Wundt-Professur hat mir
besonderen Rückhalt gegeben. Nachdem das weg war, war auch das symbolische
Kapital weg. Die Psychologen, die mir vorher noch beteuert hat, wie gerne sie
mich im Studiengang hätten, hatten nichts eiligeres zu tun gehabt, als einen
Schwerpunkt Rehabilitationswissenschaften aufzumachen, ohne das Fach
Behindertenpädagogik überhaupt zu konsultieren. Die Philosophie, mit der vorher
eine gewisse Zusammenarbeit bestand, hat nichts anderes getan, als versucht,
sich in der Singer-Debatte auf
die herrschende Seite zu schlagen und uns in Grund und Boden zu diskutieren.
Nachdem ihnen das nicht gelungen ist, und ihr Vorreiter, Herr Hägselmann, doch mit einer
bemerkenswerten Niederlage das Diskussionsfeld in Bremen verlassen hat, habe
ich von dort nie wieder etwas gehört. Mit den Neurowissenschaften ist der
Kontakt aus irgendwelchen Gründen, ich weiß nicht warum, nicht gelungen, obwohl
ich gerade an der jüngsten Entwicklung von
Gerhard Roth sehe, daß er anfängt, ähnliche Fragen zu stellen, mit denen
wir uns schon sehr, sehr lange beschäftigen. Ich fand sein Interview in
»Spektrum der Wissenschaft«[xxviii]
sehr aufschlußreich und auch die letzten Arbeiten sehr spannend, in denen sehr
stark emotionale Regulationsfunktionen mit ins Spiel kommen. Aber, wie gesagt,
das, was auf der Basis dessen, was wir erarbeitet haben. an Zusammenarbeit da
sein könnte, gibt es nicht. Die andere Seite ist, dass niemand von einem Fach
wie der Behindertenpädagogik erwartet, daß es Serviceleistungen - und zwar
wichtige theoretische Serviceleistungen - für die Neurowissenschaften leisten
könnte. Warum? Weil die Neurowissenschaften ein hoch geachtetes Fach mit einem
hoch geachteten Gegenstand sind und das andere ein Fach, gerade so an der
Grenze der Universitätswürdigkeit, mit einem überhaupt nicht geachteten
Gegenstand. Das Fach beschäftigt sich mit Ausgeschlossenen und Geächteten. Und
wer sich mit Ausgeschlossenen und Geächteten beschäftigt und sie nicht
verwaltet, sondern anfängt, ihre Interessen zu vertreten, der wird selber
ausgeschlossen und geächtet. Daß ich das nicht phantasiere sei belegt mit einem
Editorial, das Martin Hahn für
die geistige Behinderung im Jahr 1995 geschrieben hat. Er war Ordinarius für
Pädagogik der Geistigbehinderten in Berlin an der Humboldt-Universität. Bei
einer Einführungsveranstaltung für die neuen Professorinnen und Professoren
beim Berliner Wissenschaftssenator haben sich alle vorgestellt. Auch Martin Hahn stellte sein Fachgebiet
vor. Es brach schallendes Gelächter aus und alle waren plötzlich ganz betreten.
Es hatte sich gezeigt, Geistigbehindertenpädagogik an der Universität, das
gehört sich doch nicht. Das ist sozusagen ein obszöner Witz. Das Unbewußte hat
zugeschlagen. Wenn man sich das vor Augen führt, dann sieht man schnell, wie
oft diese Denkstrukturen vorherrschen. Ich habe es z.B. in der Diskussion mit
dem Rektor unsrer Universität im Fachbereich erlebt. Als ich ihn an die
demokratischen Traditionen der Universität Bremen erinnerte, bestätigte er
diese. Dann stand ein Sportlerfest zur Verhandlung, an dem Peter Pan
und der Käpt’n Hook aufgeführt
werden sollten. Er entledigte sich der ganzen vorausgegangenen Debatte, die ihn
berührte und ihn ein Stück weit in Beschlag nahm, durch folgende Entwertung:
“Dann kann Herr Jantzen ja Käpt’n Hook integrieren”.
Wir wissen, wo wir sind und dass Behinderung nicht
anerkannt ist. Wir haben trotzdem Fächer an der Universität, mit denen unter
der Hand die Kooperation funktioniert - auch auf Studentenebene; auf einer
konkreten Ebene unterdessen ein Stück weit auch mit den Philosophen und ich
kann mir vorstellen, daß sich das in den nächsten Jahren verändert. Aber ich
denke, ich habe dort keine Bringeschuld, sondern die haben eine Holeschuld.
Wolfgang: Studenten! Unsere universitäre Arbeit ist,
bei aller Gewichtung der Forschung, dominiert durch die Lehre, d.h. durch den
Anspruch auf eine hoch qualifizierte Ausbildung der Studierenden, sei es in
bezug auf das Lehramtstudium oder das Diplomstudium. Ich provoziere jetzt. Sind
die Studenten heute noch qualifiziert, ein solches Studium aufzunehmen?
Wolfgang Jantzen
Wenn ich die Cutting-Points bei dem
universitätsinternen Numerus clausus heranziehe, dann hat sich in den letzten
Jahren eine gewisse Verschiebung ergeben. Wir haben lange Jahre einen
Cutting-Point zwischen 1 und 2 gehabt, heute liegt er irgendwo zwischen 2 und
3, was die Zulassung betrifft. Das verweist auf eine gewisse Verschiebung, die
es auch in der Universität selbst gibt, weil andere Fächer z.B. attraktiver
sind und die Studierenden vielleicht auch mit besserer Vorbildung in andere
Fächer hingehen. Ich will das alles aber nicht überbewerten. Dennoch, ein paar
Punkte fallen mir auf und dies schon seit Jahren. Ich weiß nicht, inwieweit das
für andere Fächer zutrifft, aber ich kann für unser Fach folgendes sagen:
Einerseits ist es positiv, dass wir sehr oft Studenten mit Lebenserfahrungen im
Bereich Behinderung bekommen, die sich sehr bewusst entscheiden, das Fach zu
studieren. Weil sie über Lebenserfahrungen zu uns kommen, denke ich, sind sie
trotzdem nicht besser oder schlechter qualifiziert als alle anderen Studenten
auch. Sie entscheiden sich nur an einem bestimmten Punkt über eine
Lebenserfahrung, das Fach zu wählen.
Dann fällt mir auf, daß viele Studenten unfähig sind,
theoretisch zu denken. Sie sind von den Schulen geradezu sozialisiert, nicht
theoretisch zu denken. Sie sind völlig überrascht, was es alles gibt, auch an
anerkannten Theorien. Das leisten die Schulen heute nicht einmal dort, wo sie
im naturwissenschaftlichen Bereich ausbilden, z.B. im Leistungskurs Biologie.
Sie leisten nicht, die Schüler in die aktuelle naturwissenschaftliche und
naturphilosophische Debatte einzuführen, oder sie mit populärwissenschaftlichen
Zeitschriften wie »Spektrum der Wissenschaft«, das natürlich an der oberen
Grenze von Populärwissenschaft liegt, zu befassen, oder ihnen Bücher wie z.B.
von Maturana oder Prigogine nahezubringen, die schon seit
Jahren auf dem Markt sind und die verschiedenen Fächer bewegen. Das scheint
alles an den Schulen vorbeizugehen. Es ist mit immer größerer Mühe notwendig,
die Studenten damit vertraut zu machen, weil sie in den Schulen vermutlich
jedes Systemdenken ausgetrieben bekommen; auch z.B. ein Buch, was wirklich ein
Bestseller auf dem Gebiet der Neurowissenschaften ist, das fast jeder
Neurowissenschaftler unterdessen gelesen hat, nämlich Edelmans “Unser Gehirn – ein dynamisches System” ist
Studenten kaum beizubringen, weil sie dieser Komplexität nicht gewachsen sind.
Gut, die Biologen haben dieses Problem vielleicht nicht in vergleichbarer
Weise, weil sie im siebten bis neunten Semester auf anderen Wegen dahin kommen,
den empirischen Teil zu verstehen, theoretisch verstehen sie Edelman aber auch nicht. Es ist
problematisch, wenn man in einem humanwissenschaftlichen Fach ständig sehr
reduzieren muß, weil wir natürlich einen immer größeren Wissenszuwachs in
kürzerer Zeit haben, den wir, wenngleich herunterdekliniert an unsere
Studenten, so vermitteln müssen, daß sie eine solide, naturwissenschaftliche
Allgemeinbildung haben und daß sie in der Lage sind, den Biologisierungen und
Objektivierungen von Behinderung zu widerstehen - und zwar aufgrund von Wissen.
Ein weiteres Problem ist, daß die Universität, so wie
sie ist, uns in außerordentliche Schwierigkeiten bringt, Studenten fundiert
praktisch auszubilden. Wir haben keinerlei Personalausstattung für eine
vernünftige Praxisausbildung. Das ist z.B. für einen Wirtschaft- oder
Technikwissenschaftsstudiengang undenkbar. Wir haben keine Anschlüsse, keine
Verträge zu regionalen Einrichtungen, abgesehen davon, daß das natürlich durch
deren Demokratiestruktur, zu der ich ja schon einiges gesagt habe, sehr
schwierig wäre. Aber zumindestens hätte man über die Universität so etwas
aufbauen können, denn für den neugegründeten Reha-Wissenschafts-Studiengang
ging es ja. Bei den Psychologen war es ja möglich, einem Ordinarius ein
Institut mit 70 Leuten zu schaffen. Das wäre auch bei uns gegangen. Bleibt also
das große Problem für das Fach, trotz immenser theoretischer Arbeit, die
didaktische Vereinfachung so zu leisten, dass es gelingen kann, die Studenten
in diesem Fach zu hohen Qualifikationen zu führen. Teils kann das auch am
Charakter des Faches liegen. Meine Dauerrede an die Studenten ist, wenn sie
sich über die Schwierigkeiten beklagen: Ihr hättet ja was einfacheres studieren
können, Physik beispielsweise. Das wäre zur Studentensituation zu sagen. Ich
will das aber offenhalten. Andererseits finde ich auch viele engagierte, kluge
und reizende Leute, wie selten, aber ich kann nicht umhin, diese völlige
Unterqualifikation für ein Studium durch die Schule festzustellen.
Georg Feuser
In den Jahren 1987 bis 1990 erschien Dein Hauptwerk:
Die “Allgemeine Behindertenpädagogik”. In ihr sehe ich zahlreiche Momente
Deiner vorausgegangenen Schriften in einer immensen Konsistenz und hohen
Kohärenz vereinigt: Die humanwissenschaftlichen Grundlagen des Faches, aber
auch allgemeine und spezielle Fragen aus Theorie und Praxis, Fragen der
Therapie eingeschlossen. Welche Funktionen hast Du in Konzeption dieses Werkes
mit seiner Schaffung verbunden und welche meinst Du, vermag und soll es heute,
ein Jahrzehnt danach, erfüllen?
Wolfgang Jantzen
Ich habe beschlossen, dieses Buch zu schreiben, als
1972 Bleidicks “Pädagogik der
Behinderten” erschienen ist, ich sie gelesen hatte und gesagt habe: So kann die
Darstellung des Fachs nicht stehenbleiben. Die “Theorien zur Heilpädagogik”,
die im »Argument« 1973 erschienen sind, waren sozusagen der erste Versuch, das
Gelände neu zu sondieren. Und in diesem Sondierungsprozess ist in der Folge das
Material entwickelt worden, dass dann in die “Allgemeine Behindertenpädagogik”
eingeht. Es ist deshalb für Leute, die sich heute damit beschäftigen, nicht
uninteressant, die einen oder anderen Schriften von vorher zu lesen,
insbesondere den rein auf eine psychologische Theorie bezogenen Band “Abbild
und Tätigkeit”. Auch ist es nicht uninteressant, die Vorlesung, die ich auf dem
Wilhelm-Wundt-Lehrstuhl gehalten habe, die eher eine
philosophisch-methodologische Vorlesung ist und den psychologischen
Materialismus, die Tätigkeitstheorie und die marxistische Anthropologie
behandelt, zur Hand zu nehmen. Sie wird als eine außerordentlich lesbare
Einführung in das ganze Denkgebäude beurteilt. Kurz, es ist der Versuch,
sozusagen eine Enzyklopädie des Fachs zu schreiben, aber nicht als Anhäufung
von Wissen, sondern in einer bestimmten Darstellungslogik, für die ich den Marx-Hegelschen
Arbeitsbegriff benutzt habe. Das Problem der “Allgemeinen Behindertenpädagogik”
ist, Du hast das schon gesagt, die Konsistenz und Kohärenz. Sie ist auch heute
noch für viele kaum lesbar. Ich merke das, wenn ich mit Studenten anfange Teile
aus dem Buch zu diskutieren. Ich habe ein ganzes Semester mit Studenten über
das Kapitel zur basalen Pädagogik diskutiert und wir hätten ein weiteres
Semester drüber diskutieren können. Die Kategorien sind sehr dicht und es ist
außerordentlich viel Material in diese beiden Bände eingegangen. Von den
humanbiologischen Kapiteln will ich erst gar nicht reden. Sich an sie und die
Strukturen dieser Kapitel anzunähern, gelingt erst langsam in
Lehrveranstaltungen.
Ich sagte schon, mir war es wichtig, das Buch in einer
bestimmten Darstellungslogik abzufassen. Vom Inhalt her gesehen hat das Buch
natürlich auch sehr, sehr viel verallgemeinerbare Inhalte, aber natürlich auch
zeitgenössische Einschränkungen. Beschränkungen gibt es z.B. derart, dass ich Bourdieu noch nicht genug kannte, um
das systematisch mitzudenken und auf Wallon
bin ich erst sehr viel später gestoßen. Natürlich sind bei soviel Material an
der einen oder anderen Stelle auch kleine Denkfehler, die man bei einer
Neuauflage korrigieren müsste. Aber das berührt nicht das Grundsätzliche.
Abgesehen davon bewertet eine Umfrage an Hochschulen die “Allgemeine
Behindertenpädagogik” für die Zukunft des Faches als das wichtigste Werk. Aber
was man machen müsste, wäre, dieses Werk noch einmal in die zentralen
theoriebildenden Schritte zu übersetzen, die in ihm stecken. Das wäre z.B. der
Grundgedanke der Isolation, über den wir schon geredet haben, und das Versehen
dieses Isolationsbegriffs mit einer Entwicklungsdimension, was über die
Aufnahme des Marx-Hegelschen Arbeitsbegriffes erfolgen
könnte, insofern die einfachen Momente der Arbeit, Gegenstand, Mittel und
Tätigkeit, natürlich sozialhistorisch kulturell anzueignende sind, um das Bauen
des Produkts im Kopf zu ermöglichen. Das ist im Eingangskapitel entwickelt und
wird sozusagen als Schlüssel auch festgehalten, um eine neue Lektüre der
bisherigen Entwicklungspsychologie zu leisten. Im
Entwicklungspsychologie-Kapitel habe ich offensichtlich zu unscharf
geschrieben, denn immer wird gesagt: Wolfgang
Jantzen hat die Theorie der
dominierenden Tätigkeit weiterentwickelt. Das hat er nicht; er hat mit ihr
gebrochen. Ich habe sie für eine bestimmte Zeit benutzt und auch versucht,
Lücken in ihr zu schließen, habe aber spätestens mit der “Allgemeinen
Behindertenpädagogik” erklärt, dass diese Theorie nur Teilaspekte des
Entwicklungsprozesses fasst. Sie ist eine berechtigte Theorie, neben anderen,
neben der von Piaget, neben der
von Spitz und wer genau liest,
wird sehen, neben den Ansätzen von Elkonin
und Boshowitsch. Die Vygotskij-Arbeit über das Problem der
Altersstufen war mir damals noch nicht zugänglich.[xxix]
Sie ist erst 1987 erschienen, nachdem der erste Band bereits verlegt war. Es
geht darum, hinter diesen Theorien eine gemeinsame und völlig neue, allgemeine
Entwicklungspsychologie zu entwickeln. Das Spannende für mich ist, dass sie
auch einer Überprüfung durch Wallon
standhalten kann. Für mich ist er eine der faszinierendsten Entdeckungen der
letzten Jahre. Wallon ist den
drei Großen der Psychologie des vergangenen Jahrhunderts, Vygotskij, Piaget und Freud
ebenbürtig hinzuzufügen. Grundsätzliche Annahmen der “Allgemeinen
Behindertenpädagogik” sind aber nicht zu revidieren. Auch meine Kritik an Piaget stimmt in bestimmten Bereichen
grundsätzlich mit der von Wallon
überein. Was an verallgemeinernder Entwicklungspsychologie in diesem Werk
steckt, wird auch durch die aktuellen entwicklungsneuropsychologischen
Forschungen zur Gehirnorganisation im Verlauf der kindlichen Ontogenese
unterstrichen. Gut, das herauszuarbeiten und noch einmal zu übersetzten wäre
eine eigene Sache.
Insgesamt war ich zu sehr mit dem Material befaßt und
habe vielleicht zuwenig an denkbare Missverständnisse gedacht. Sehr schön finde
ich nach wie vor das sechste Kapitel im ersten Band, das eine Entwicklungspsychopathologie
zugrunde legt, die in vielerlei Hinsicht in eine sehr spannende Diskussion mit
der US-amerikanischen Debatte über Entwicklungspsychopathologie eintreten
könnte und von dieser sicherlich auch sehr bereichert würde, wenn man die
aktuelle Debatte zur Kenntnis nimmt und sich darüber austauscht.[xxx]
Was noch zentral mit dem Isolationsbegriff für eine
neue Entwicklungskonzeption, die auf dem Hegel-Marxschen Arbeitsbegriff
aufbaut, in Zusammenhang steht, ist das Sinn-Konzept. Ich denke, dass ich das
Sinn-Konzept wesentlich über Leont‘ev
hinausgedacht habe und zwar aufbauend auf Vygotskij
und auf Spinoza, aber verbunden
mit ganz neuen Fragen. Ich denke, dass gerade das eine ganz eigene Leistung
ist, die völlig neu in das Buch einfließt und die dem Ganzen in
konstruktivistischer Hinsicht noch einen ganz anderen subjektwissenschaftlichen
Hintergrund gibt. Auch die allgemeine Theorie funktioneller Systeme, die ich im
Kapitel 7, das erste Kapitel des zweiten Bandes geführt habe, wäre eine solche
Übersetzung wert, weil dies eine sehr zukunftsträchtige Diskussion zu sein
scheint. Ich habe sie in der ganz aktuellen Diskussion um Ursprünge der Sprache
durch Redko, einen russischen
Wissenschaftler, wiedergefunden, der versucht, in der Debatte über die Ursprünge
der Sprache von Anochins Theorie
aus vorzudringen und eine fundamentale Theorie der Entwicklung der Logik
innerhalb der Evolution kybernetisch zu begründen.[xxxi]
Dort besteht eine Anschlußfähigkeit und ich glaube, dass ich mit dieser Theorie
da sehr weit gekommen bin. Das spannende war für mich, im
Neuropsychologie-Kapitel den Anschluss an die im Kapitel 7 entwickelte Theorie
zu kriegen und die Neuropsychologie in der Lurijaschen
Tradition weiterschreiben zu können. Das sind im Grunde die neuen Sachen, die übersetzt
werden müssten.
An einem Teil dieser Übersetzungen arbeite ich. Ich
versuche, ein Buch zur Neuropsychologie der geistigen Behinderung zu schreiben.
Es sollte eigentlich schon längst fertig sein, aber es hat zwei Klippen. Über
die eine haben wir schon geredet: Die Neubestimmung des Leib-Seele-Problems.
Die andere Klippe heißt Wallon.
Aber die ist inzwischen auch überwunden.
Ich denke, die “Allgemeine Behindertenpädagogik” hat auch eine ganz, ganz hohe Praxisrelevanz, was man erst einmal nicht denkt. Sie hat deshalb eine hohe Praxisrelevanz, weil dieses Buch mit Reflexionswissen ausstattet, wenn seine Aneignung gelingt. Und Reflexionswissen brauche ich in dieser Praxis, weil man in diesem Beruf jedes Technikwissen über Bord werfen muss, was nicht in Reflexionswissen rückwirkend eingebunden werden kann. In der Praxis muss ich Handeln; ich muss irgendetwas machen. Wenn ich anfange zu reflektieren, welche Technik wende ich jetzt an, zerbreche ich den Dialog, zerbreche ich das Anerkenntnis, mit dem ich arbeite und objektiviere den Klienten. Also kann ich meine Fehler nur im Nachhinein über Reflexionswissen bearbeiten und im Vorhinein über Reflexionswissen meine Angst verlieren. Mehr ist nicht möglich. Ich denke, das leistet das Buch. Aber, ich sage es noch mal, das bräuchte noch sehr, sehr, sehr viel Übersetzung.
Georg Feuser
Ein besonderer Schwerpunkt, aber auch
besonderes Verdienst Deines Schaffens ist die “Tätigkeitstheorie“ im
Speziellen, im Allgemeinen die Entdeckung, Bearbeitung und Fortschreibung der
Arbeiten der “Kulturhistorischen Schule der Sowjetischen Psychologie“, die sich
mit den Namen Vygotskij, Lurija, Leont‘ev und Galperin
verbinden, um nur einige zu nennen. Sie reichen aber auch von Anochin bis Zaporožeč. Du hast 1987 die “Lurija-Gesellschaft“
gegründet und stehst ihr seit Jahren vor. Wie vernetzt sich aus Deiner Sicht
das immens bedeutende gesamte Werk der »Kulturhistorischen Schule« mit Deinem
Schaffen, wenn Du das kurz und programmatisch zu benennen hättest?
Wolfgang Jantzen
Ich werde es versuchen. Im Grunde geht es
einfach eine Reihe vielfältiger »Begegnungen«. Aber nicht nur! Es ist auch
harte Arbeit. Ich will die Begegnungen hervorheben. Der Aspekt der Begegnung
ist für mich besonders bedeutsam bei Vygotskij.
Ich habe mir zunächst über Lurija
das Wissen und die Denkweise geholt, die höheren psychischen Funktionen als
sozial bestimmt zu erkennen - auch in neuropsychologischer Hinsicht bezüglich
der Organisation des Gehirns. Das war außerordentlich schwer, weil ich das
weitgehend als Autodidakt leisten musste, allerdings mit guten
naturwissenschaftlichen Grundkenntnissen. Was ja nicht so bekannt ist, habe ich
im Rahmen meines Psychologiestudiums in Gießen, das in der
naturwissenschaftlichen Fakultät angesiedelt war, sehr viel Biowissenschaften
hören müssen. Für das Vordiplom waren z.B. Genetik, Physiologie, für das
Hauptdiplom auch Psychopathologie verankert; dies verknüpft mit vielen
naturwissenschaftlichen Fragen. Als mögliches Promotionsnebenfach habe ich
neben Soziologie und Kriminologie zwei Jahre lang systematisch
naturwissenschaftliche Anthropologie studiert, ein kleines Anthropologische
Praktikum abgeleistet usw. usf. Es war außerordentlich schwer, sich
autodidaktisch in diese komplexe Theorie Lurijas
einzuarbeiten. Aber das ist im Laufe der Jahre so weit gelungen, dass mir eine
Reihe von Leuten nachsagen, dass ich einer derjenigen in Westeuropa sei, der Lurija am besten kennt. Für Leont‘ev und Vygotskij sagen mir das auch einige nach, aber das kann ich
nicht beurteilen. Ich weiß nur, dass es eine immense Schwierigkeit war, sich
Stück für Stück in diesen Fundus einzuarbeiten. In bezug auf Leont‘ev war dies ein Stück einfacher
und bei Vygotskij war es jedes
Mal eine Art Begegnung, wenn ich in bestimmten Punkten auf neue Fragen von ihm gestoßen
bin. Den letzten Punkt will ich vielleicht zuerst nennen. Du hast ja in der
Festschrift für Dich meinen Artikel zur “Zone der nächsten Entwicklung“
gelesen.[xxxii] Ich habe
da einige Gedanken entwickelt, die völlig neu sind. Im Semester danach habe ich
mit Studenten über Vygotskij
gearbeitet und dann in einigen mir bis dahin noch unbekannten Schriften von Vygotskijs entdeckt, dass er der Sache
sehr viel enger in der gleichen Richtung auf der Spur war, in der auch ich
gedacht hatte. Das ist, was ich so »Begegnungen« nenne.[xxxiii]
Auf der anderen Seite habe ich von Vygotskij außerordentlich viel an
Methodologie gelernt. Nicht, dass ich das vielleicht nicht auch anders gelernt
hätte, aber wenn man einen solchen Spiegel vorgehalten bekommt, wird manches sehr
viel einfacher. Mein Weg zur kulturhistorischen Theorie war ein eigenständiger Weg. Im Unterschied
zu Klaus Holzkamp habe ich nie
gedacht, dass Leont‘ev bereits
ein »toter Hund« ist, nachdem ich im wesentlichen nur ein Buch von gelesen und
dessen Gedanken weiterentwickelt habe. Ich habe bemerkt, dass ich auf einen
außerordentlich interessanten und sich weltweit in Ansätzen schon
realisierenden Denkzusammenhang stoße, für den alle die Namen stehen, die Du
genannt hast und viele mehr. Für jeden dieser Namen, den ich irgendwo gefunden
habe, habe ich mich neu interessiert, genau so, wie ich mir bei der Lektüre von
Jantsch über die
Selbstorganisation des Universums[xxxiv]
im Autorenverzeichnis eine Reihe von Anstreichungen gemacht und fast alle
abgearbeitet habe. Ich habe Waddington
gelesen, Lima de Faria und
etliche mehr - und immer im Original. Da Wissenschaft ein sozialer und
demokratischer Prozess ist, kann man nicht immer nur aus zweiter Hand lesen.
Man muss möglichst schnell in die Primärliteratur hinein und sich mit dem
Gedanken eines Autors selbst vertraut machen. Die Kulturhistorische Theorie ist
mein Arbeitszusammenhang, ihre Autoren sind die Leute, mit denen ich
diskutiere, auch wenn sie nicht mehr leben. Ich habe ja auch mit einigen
Lebenden noch Kontakt aufnehmen können, deren Fragen ich mich stelle und nach
deren Antworten ich schaue. Ich habe aber auch im anglo-amerikanischen Bereich
viel Theorie gelesen und versuche jetzt, meine Französischkenntnisse zu
aktivieren, um mich grundsätzlich mit Wallon
auseinanderzusetzen. Ich suche einfach Leute, die an den gleichen Problemen
interessiert sind und ich finde sie in der aktuellen Gegenwart häufig nicht -
siehe unsere Diskussion über die Bremer Universität - dann suche ich sie mir in
der Literatur. Dort gibt es genug. Ich denke, ich vertrete die Kulturhistorische
Schule, ich bin Teil von ihr, habe darin eine bestimme Position und hoffe, dass
ich einige Fragen weiterentwickeln und einige bereichern konnte. Aber ich lebe
natürlich auch von dem, was andere schon gemacht haben und zwar in einem nicht
ausgrenzenden Zusammenhang. Nichts wäre für mich furchtbarer, als eine eigene
Schule zu begründen. Das klingt mir fast schon nach einer eigenen Sekte; da ist
mir das Beispiel der Kritischen Psychologie ein so schlechtes Beispiel, dass
ich diesen Weg mit Sicherheit nicht betreten möchte.
Georg Feuser
Könnte aber, da möchte ich gerne noch
einmal einhaken, dieser Grundsatz nicht auch eine Kehrseite haben, was eine
Perspektive über die reale Existenz von uns selbst hinaus bedeutet.
Wissenschaftlicher Nachwuchs zum Beispiel .....
Wolfgang Jantzen
Ich habe ja nicht die Mittel, auf den
wissenschaftlichen Nachwuchs durch irgendwelche Promotionsstipendien oder sonst
etwas Einfluss zu nehmen. Nur durch die Qualität der Arbeiten kommen die
Stipendiaten bei irgendwelchen großen Stiftungen unter. Ich habe eine
Möglichkeit auf den wissenschaftlichen Nachwuchs Einfluss zu nehmen, indem das,
was wir denken, allgemeines Denken wird - also vielen Menschen zugänglich wird.
Das betrifft immer wieder Studenten, aber auch Mitarbeiter in Einrichtungen und
ich versuche auch immer wieder, wobei man natürlich genau abstimmen muss, was
man leisten kann und was nicht, auf dieser Ebene wissenschaftliche Diskussionen
zu initiieren. So habe ich die Einrichtung Lilienthal drei Jahre unterstützt
und dies auch immer praxisbezogen; ich gab aber auch einen sehr starken
Theorie-Input oder, besser gesagt, ich fundierte den Aufbau eines
Reflexionshintergrunds. Als ich damals, Anfang der 80er Jahre, die Spastikerhilfe
Bremen beraten habe, war das Gleiche. Es gilt, die Leute vor Ort sozusagen zu
kompetenten Denkern und Denkerinnen ihrer eigenen Situation auszubilden und das
ist der einzige Weg, wie diese Theorie Fuß fassen und überleben wird. Daher
auch mein tiefes Misstrauen gegen alle Prozesse von oben, diese Theorie
zusammenzuführen wie das am Beispiel der Internationalen
Tätigkeitstheorie-Vereinigung[xxxv]
deutlich wird. Was nicht von unten her steht, fällt auseinander und wird auch
keine Tiefe bekommen. Wenn nicht die in der Praxis zu lösenden harten Fragen im
Vordergrund stehen, bleiben Diskussionen im wissenschaftlichen Feld oft geprägt
von der wissenschaftlichen Eitelkeit. Auf der anderen Seite, das weißt Du auch,
habe ich mich nie so stark in die Praxis eingeklinkt wie Du, weil ich es
außerordentlich wichtig fand, auch diesen wissenschaftspolitischen Bereich und
die Theorie zu entwickeln und präsent zu machen. Deshalb habe ich auch viele
Vortragsverpflichtungen angenommen, viel geschrieben und mache das immer noch.
Eine Theorie dieser Differenziertheit, die lässt sich nicht mit wenigen
Arbeiten verankern, das geschieht genauso wie beim Sprachlernen - im
wesentlichen durch »Berieselung«.
Georg Feuser
Eines Deiner Werke nach der “Allgemeinen
Behindertenpädagogik“ trägt den Titel: “Am Anfang war der Sinn“[xxxvi].
Das weckt Assoziationen an die Faust‘schen Reflexionen - an das “Wort“, die
“Kraft“, die “Tat“. Die einzelnen Beiträge spiegeln zentrale Aspekte Deines
philosophischen Arbeitens und Denkens wieder. Du forderst auf, Freud neu marxistisch zu lesen und
beziehst Dich auf Spinozas
Philosophie, was im Gespräch schon angeklungen ist. Von ihr aus finde ich in
Deinen Arbeiten immer wieder weite Bögen bis zur Gegenwart spannend. Ist es die
Suche nach einer Gegenkraft? oder ist es vielleicht in die Faust‘schen Worte zu
fassen: “O glücklich, wer noch hoffen kann, aus diesem Meer des Irrtums
aufzutauchen“?[xxxvii]
Wolfgang Jantzen
Die Suche nach dem Sinn, das ist ein Thema,
das ich schon vor dem großen Zusammenbruch des Sozialismus zu bearbeiten
begonnen habe. Es ist schon im Band I der Allgemeinen Behindertenpädagogik, der
1985 und 1986 geschrieben wurde und 1987 erschienen ist, präsent. Es ist in
meinem Vortrag, den ich auf der Psychologietagung in Danzig 1986 gehalten habe,
der auch in den Newsletters for Activity Theory[xxxviii]
ins Englische übersetzt wurde, mit enthalten und es ist in der ganzen
Abgrenzung des Arbeitskreises Tätigkeitstheorie von der »Kritischen Psychologie«
von Anfang an mit enthalten. Mich hat die Frage, von Leont‘ev aufgeworfen, was eigentlich Sinn ist, nachdem ich
angefangen habe, das zu rekonstruieren, sehr interessiert. Damit hat sich sehr
schnell die Frage nach der psychischen und psychologischen Realität dessen
verbunden, was die Leute “Gott“ nennen oder irgendeinen Ersatzgott oder sonst
etwas. Was sind also die überindividuellen, massenpsychologischen
Anrufungsstrukturen aber auch die inhaltlichen Strukturen, die Sinn
organisieren? Das ist nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus eine noch
spannendere und dringendere Frage geworden als vorher. Den Band, den Du nennst,
den habe ich eigentlich zusammengestellt, um einen ersten Versuch zu
unternehmen, auf die Singer-Debatte
eine systematische Antwort zu geben. Gleichzeitig habe ich den Titel “Das Ganze
muss verändert werden“ publiziert und mit diesem Band angedeutet, was,
materialistisch gedacht, die philosophischen, anthropologischen, ontologischen
u.a. Voraussetzungen sind, die Sinnfrage zu behandeln. Das reicht ja von
unserer gemeinsamen Arbeit “Die Entstehung des Sinns in der Weltgeschichte“ bis
hin zu Untersuchungen zum Verhältnis Spinoza
und Albert Schweitzer u.a.m. und
es beinhaltet eine Spinozanische
Antwort auf die auch bei Leont‘ev
- zumindest in den Anfängen - noch cartesianische Anlage der Naturgeschichte
des Psychischen. In den Anfängen geht Leont‘ev
von der “einfachen Reizbarkeit” aus, also von dem cartesianischen
Maschinenmodell, und das ist nicht haltbar. Wenn Leben existiert und man es nicht
mechanisch denken will, muss von Anfang an die Dimension des Sinns mit
enthalten sein, also die Möglichkeit von Leben z.B., sich in Situationen
zwischen, sagen wir es ganz elementar, Bleiben und Flüchten zu entscheiden.
Eine Nahrung zu suchen kostet Energie, aber am Ort zu bleiben kann so viel
Energie verbrauchen, dass man keine Nahrung mehr suchen kann. Also müssen im
Leben von Anfang an, wenn es selbstorganisierte Prozesse sind, vermittelnde
Mechanismen als Systemzeit eingebaut sein, deren Genesis wir ja gemeinsam, mit
dem Sinnbegriff unterlegt, untersucht haben. Wenn man das weiter verfolgt, dann
entsteht Sinn durch Bestätigung, durch zeitliche Konstruktionen, durch
Ist-Konstruktionen, die in der Welt vorzufinden sind oder, wie René Spitz das sagte, durch reziproke
Bestätigung. Dann ist also der Gottesbegriff auch nichts anderes als die
Abstraktion von reziproken Bestätigungen, die wir in Bindungsprozessen
erhalten, in Anerkennungsprozessen - Hegel
spricht von Anerkennung der Liebe, in der Ehre, im Absoluten - die wir nur in
ein fiktives Jenseits verlegt haben. Nun zeigt uns aber die gesamte Debatte um
die Moderne, dass sich damit auseinanderzusetzen eine der zentralen Fragen
unseres Faches ist, denn unser Fach ist vielfältig in herrschende Sinnbildungsstrukturen
und die Anbetung herrschender Sinnbildungsstrukturen eingebunden und im
Glauben, Gutes zu tun gegenüber den Oberen, werden gleichzeitig die Unteren mit
Füßen getreten. Das ganze Problem paternalistischer Strukturen wäre hier
anzuführen. Wer in der Behindertenpädagogik arbeitet, hatte ich vorhin gesagt,
doppelt Erfahrungen, d. h., damit er als Pädagoge die ihm Unterworfenen
freundlich behandelt, verlangt er Liebe im Tausch. Aber wenn die Unterworfenen
nicht Liebe geben, sondern protestieren, dann werden sie kriminalisiert und ihr
Verhalten als Provokation umgedeutet. Das ist der Kern, weshalb das so spannend
ist. Und Ausgangspunkt, diese Frage noch einmal aufzugreifen war eigentlich die
Singer-Debatte, die ich als eine
viel ernsthaftere Herausforderung wahrgenommen habe, als viele andere. Und dass
sie dies war, zeigt sich heute sehr deutlich. Ich habe also, obwohl ich zu der
Zeit schon relativ gut philosophisch gebildet war, jahrelang meine
Philosophiekenntnisse systematisch aufgebessert. Vieles danke ich meinem Freund
Siegfried Bönisch in Leipzig,
dort abgewickelter stellvertretender Direktor der Sektion Philosophie;
dialektischer Materialismus war sein Schwerpunkt. Ich habe durch Siegfried Bönisch sehr vieles von Kant verstanden, was mir sonst nicht so
schnell zugänglich gewesen wäre, weil mir das Kantsche
Denken sehr fremd ist. Ich denke, als Autodidakt inzwischen so in die
Philosophie eingearbeitet zu sein, dass ich zu zentralen Fragen etwas sagen
kann. Und das ist einfach der Versuch, bestimmte Fragen zur Sinnproblematik als
zentrales Problem dieser Zeit zu bündeln, weil ich denke, dass der Grund der
Ethik im sinnvollen Sein liegt. Sobald der Sinn im Sein verloren geht, geht die
Ethik verloren. Und das ist zu begründen und daraus eine Gegenkraft zu
entwickeln. Ich erinnere Dich an die Schlusspassagen in Adornos “Negativer Dialektik“. Sie nimmt ja – ausgehend von
Auschwitz als Bezugspunkt und der Metapher des Hotelbesitzers Adam, der die
Ratten totschlägt, nach dessen Bild sich das Kind die Welt bildet – im
Schlußteil eine völlige Destruktion der Metaphysik vor, bis er zur
Anthropologie kommt, dazu, dass das Bedürfnis nach Denken will, daß gedacht
wird. Und dieses Denken mündet in der Auflehnung gegen Gewalt und
Unterdrückung. Das Bedürfnis nach Denken, dass daß das Denken will, daß gedacht
wird, begründet gleichzeitig das Bedürfnis human zu denken und das ist die
Pforte, durch die die Metaphysik- jetzt aber strikt immanent und nicht mehr
transzendent gedacht - wieder eintritt und wo Adorno
von der Solidarität mit der Metaphysik im Augenblick ihres Sturzes spricht. Das
ist hochinteressant, weil bei Lévinas
die Anerkennung des Antlitzes des Anderen der einzige Punkt ist, wo Gott die
Welt betritt, bei Buber ist es
der Dialog und bei Benjamin ist
die Gegenwart die Pforte, durch die Gott die Welt betritt. Eine hoch spannende
Sache. Wenn ich jetzt Gott nicht mehr verdingliche, sondern als ein Resultat
der Naturgeschichte verstehe, als die Summe der liebenden Beziehungen der
Menschen untereinander, so Sölle
in ihrer atheistischen Interpretation, - die wiederum aus der Summe der
liebenden Beziehungen in der Naturgeschichte entstanden sind - dann haben wir
nicht nur den Auftrag, die Schöpfung zu erhalten, sondern auch Gott zu
erhalten, nicht den da oben, sondern Gott als eine Art von Beziehungen der
Menschen untereinander, die von Achtung, von Anerkennung, vom Verzicht auf
Gewalt usw. geprägt sind. Um das zusammenzufassen, ist dann Gott eine soziale
Konstruktion, die bisher von der Menschheit in ihrer Geschichte geschaffen
wurde und bis heute geschaffen wird. Und es kann sehr wohl sein, dass diese
Konstruktion, jedenfalls im Sinne des liebenden Gottes, nicht des allmächtigen
Gottes, der identisch ist mit der Naturgeschichte, wenn die heute beobachtbaren
Prozess so fortschreiten, dass dieser liebende Gott vernichtet wird, spurlos
aus der Welt verschwindet, weil er eine Schöpfung der Menschen ist in der Summe
ihrer Beziehungen. Wenn ich das im Kopf habe, muss ich eine Art und Weise des
Handelns in der Gegenwart praktizieren, das diese Beziehung nicht außer Kraft
setzt, um sie bekommen zu können. D.h., ich muss mich, das ist die
Übereinstimmung mit Lévinas und Buber, wie Bourdieu sagt, nach der Regel des “do ut des” so verhalten, dass
ich gebe, was ich bekommen will. Ich muss also, so hat es der junge Marx auch schon gesagt, Liebe geben um
Liebe zu bekommen. Ich muss Anerkennung geben, um Anerkennung zu bekommen. Und
wenn ich Frieden haben will, muss ich Frieden geben. Das ist die Grundposition,
die sich daraus für die Ethik entwickelt. Und das ist schon die Postulierung
einer Gegenkraft. Ob das was mit glücklich zu tun hat, aus diesem Meer des
Irrtums aufzutauchen - ich weiß es nicht. Wissen macht nicht immer glücklich.
Georg Feuser
“Die Zeit ist aus den Fugen“ ist der
Titel eines Buches von Dir von 1998[xxxix].
Es erinnert mich in gleicher Weise an den Goetheschen
Faust. Nun aber an Worte des Mephistopheles, der sich selbst als den Geist
bezeichnet “der stets verneint, und das mit Recht, denn alles, was entsteht,
ist wert, dass es zugrunde geht; drum besser wär‘s, dass nichts entstünde ....“[xl]
Du befaßt Dich darin erneut mit Perspektiven der Behindertenpädagogik auf dem
Hintergrund so zentraler Begriffe, wie »Subjektivität«, »Vernunft«, »Gerechtigkeit«
und mit Fragen des Lebensrechts für behinderte Menschen, mit dem Nachweis gegen
die Meinungen der Euthanasie befürwortenden Philosophien und Philosophen, dass
ein Mensch mit Down-Syndrom eine Person ist. Kurz: Der Kampf richtet sich gegen
die Moderne von Lebensunwert und “Euthanasie“ und gegen eine im Kleide
scheinbar demokratisch kontrollierter Gentechnologie daher kommenden
Bevölkerungspolitik auf eugenischer Ebene, die - wie im Faschismus - die sog.
“Ausmerze“ als minderwertig erachteten Leben mit der “Aufartung“ eines
Menschengeschlechts verbindet, um lang gehegte “Träume der Genetik“ zu
realisieren. Du beziehst Dich auf eine verstehende Diagnostik, auf die
Enthospitalisierung, auf das Recht auf Leben und Bildung - Momente, die in
einer abendländisch christlich fundierten menschlichen Kultur eine
Selbstverständnis sein sollten, aus meiner Sicht heute aber fundamental bedroht
sind. Geraten wir - und ist das unser Ausblick auf die eigene letzte
Lebensspanne - im Sumpf neuer Mythen in eine grenzenlose ‘Zerstörung der
Vernunft‘?
Wolfgang Jantzen
Ich weiß es natürlich nicht, Georg, wo
wir hin geraten. Und ich werde mich hüten, das eine oder andere als fixe
Struktur anzunehmen. Ich habe vorhin schon gesagt, mit Jonas kann ich mir, muß ich mir das Schlechteste als
Möglichkeit vorstellen. Das Buch “Die Zeit ist aus den Fugen“ enthält ein
entsprechendes Szenario, einen Vortrag, den ich über Perspektiven der
Behindertenpädagogik nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus gehalten habe
und davon ausgegangen bin, dass das, was auf dieser Welt geschieht, nur noch
mit Anstand zu Ende gebracht werden kann, aber nicht mehr zu ändern ist, der
“point of no return” überschritten ist. Aber das ändert nichts daran, das was
zu tun ist, mit Anstand zu tun und durchzudenken.
Was ist eigentlich die Grundhaltung
dieses Buches? Das ist ja nicht Goethe,
mit dem ich diesmal beginne, sondern Shakespeare
mit Hamlet: “Die Zeit ist aus den Fugen, Schmach und Gram, dass ich zur Welt
sie einzurichten kam“. Es ist also, wie das Negri
in der Spinoza-Rezeption sagt,
“die Aneignung der Krise“, das mir Zueigenmachen der Krise, dass es nämlich so
sein könnte, wie ich es in diesem anderen Beitrag geschrieben habe, dass der
“point of no return “ schon vorbei sein könnte. Und es ist sehr heilsam sich
das anzueignen, wie es überhaupt sehr heilsam ist, sich Krisen anzueignen und
nicht zu flüchten. Ich hatte vorhin schon von einer Krise gesprochen, die ich
mir angeeignet habe. Das war jene mit dem Schüler, den ich geschlagen habe.
Eine zweite Krise, die mich sehr lange beschäftigt hat, war die Geschichte
meiner Eltern, die immer so im Halbdunkeln lag. Als ich 1975 einen Vortrag zum
30. Jahrestag der Befreiung vom Hitler-Faschismus für die Marburger Studenten
ausarbeitete, stieß ich in einem Buch über das KZ Ravensbrück auf den Namen
meiner Mutter, die bis kurz vor meiner Geburt Lagerärztin im Ravensbrück
gewesen ist und mindestes am Tod einer Frau Mitschuld hat. Ich habe, so lange
meine Mutter noch gelebt hat, davon nie öffentlich gesprochen, weil sich das
nicht gehört, weil Lebende meinen Schutz verdienen, die zum eigenen Umfeld und
zur Familie gehören. Lebende als Träger von Ideologien, als Institutionen, habe
ich natürlich angegriffen, wie z.B. Stutte.
Aber ich glaube, in dem Aufsatz zu Stutte
habe ich in den Schlussbemerkungen 1993 in der Zeitschrift für Heilpädagogik[xli]
auch gesagt, Stutte ist nicht
besser und schlechter als meine Mutter, er ist ein Kind seiner Zeit. Ich hätte
selber auch so werden können, hätte ich in dieser Zeit gelebt. Das ist auch ein
Resultat der Aneignung dieser Krise, die mich sehr lange Jahre emotional
verfolgt, aber auch dazu geführt hat, dass ich mich systematisch mit der
Geschichte der Opfer beschäftigt, mich früh mit den Forschungen zu den Folgen
von KZ-Haft auseinandergesetzt habe. Und, wie das meine Eigenart ist, alles
gelesen habe, was ich in die Hände bekommen habe. Ich habe mehrfach für Sinti
in Wiedergutmachungsfragen gegutachtet und in einigen Fällen auch Erfolg
gehabt, so dass die betroffenen Personen eine größere finanzielle Entschädigung
bekommen haben. Das war für mich aus dieser Geschichte heraus sehr wichtig.
Irgendwann konnte ich mir das aneignen und wieder ein gutes Verhältnis zu
meinen Eltern bekommen. Eine dritte Krise war natürlich der Zusammenbruch des
Realsozialismus, was sonst? Es galt, nicht nur sich dieses epochale Ereignis
anzueignen und nicht zu flüchten, sondern auch nach den eigenen
Fehlwahrnehmungen zu fragen, alles Denken noch einmal von vorne zu überprüfen.
Nicht ohne Grund bin ich bis zu Spinoza
zurückgegangen und habe alles noch einmal überprüfend gedacht. Das war nicht
nur die Singer-Debatte, sondern
auch diese große Krise. Und von den Krisen, die im privaten Bereich im
persönlichen Leben dazukommen, gar nicht zu reden, das ist nicht für die
Öffentlichkeit. Kurz: Sich die Krise aneignen, ist ein wesentlicher Punkt,
auch, um mit sonst möglichen blinden Flecken prophylaktisch umzugehen, es
bleiben immer noch genug davon. Im Prinzip ist dieses Buch auch der Versuch,
sich diese Krise auf verschiedenen Ebenen anzueignen und Perspektiven zu
erörtern.
Du fragst nach dem Zerfall der Vernunft,
nach der Zerstörung der Vernunft. Was könnte Vernunft sein? Ich habe jetzt
angefangen, mich intensiver mit Hegel
auseinanderzusetzen, was bei einem so gewaltigen Autor, von kleineren, direkten
Anläufen abgesehen, erst einmal über gute Sekundärliteratur erfolgte, um mir
Wege zeigen zu lassen. Ich habe jetzt gerade von Ludwig Siep “Der Weg der Phänomenologie“ gelesen, also die
Rekonstruktion von Hegels “Phänomenologie
des Geistes“. Eine sehr interessante Denkbewegung ist die der Bestimmung des
Ich, das zunächst am Gegenstand sich herausbildet, das den Gegenstand negiert
und so zur Bestimmung seiner selbst kommt und schließlich – in doppelter
Negation - dann zur Gemeinsamkeit der Bestimmung seiner selbst und des
Gegenstandes kommt, sich also als Ich in der Welt bestimmt. D. h., das
isolierte Ich, das Kant gesetzt
hat, entsteht nur am Gegenstand. Das würde so auch mit Bourdieu und seiner
Habitus-Theorie übereinstimmen. Und jetzt macht Hegel etwas sehr Interessantes. Er nimmt nämlich die Summe
dieser Ich-Bestimmungen am Gegenstand als kollektive Struktur, die nennt er
Weltgeist, oder Kultur so würden wir heute sagen. Diese ist oberhalb der
Individuen angeordnet, ist die Konstruktion aller Individuen und konstruiert
die Individuen. Das ist etwas Ähnliches wie bei Sève das Verhältnis von Gesellschaft und Persönlichkeit[xlii].
Und das ist wiederum interessant, weil es unterdessen Theorieelemente gibt, die
zeigen, wie solche Konstruktionen stattfinden. Für den Gottesbegriff habe ich
das schon angedeutet. Feuerbach
hat Gott verweltlicht und in die Summe der guten Beziehungen hineingelegt, aber
gleichzeitig ist Gott mehr als die Summe der einzelnen guten Beziehungen, das
Universum der gehabten guten Beziehung. Das lässt sich sehr schön mit Vernadskijs Theorie der Biosphäre darstellen, aus der heraus die
Noosphäre, die Sphäre der Menschen entsteht[xliii],
die durch ihre Arbeit gleichzeitig in die Biosphäre und Geosphäre zurückwirken.
Und diese Noosphäre, so der estnische Linguist Lotman, kann man auch als in Semiosphären organisiert denken,
also in Zeichen gebrauchenden Systemen, innerhalb derer Bedeutung konstruiert
wird, innerhalb derer Vernunft präsent
ist[xliv].
Das erinnert übrigens sehr an Wittgensteins
Theorie der Sprache und der Vernunft. Vernunft sind also Konstruktionen in
sozialen Räumen, die auf das Allgemeine zielen, nämlich auf die Vermittlung des
Menschen mit dem Menschen. Und Vernunft ist mehr als Rationalität. Vernunft ist
immer ein Stück weit sinngeladen, sinnbegleitet, auch das macht Wittgenstein sehr deutlich, denn für
ihn sind ja Logik, Mathematik und Grammatik sinnlos, aber nicht unsinnig. Sie
sind ein System von Wegen in einem eigenen kulturellen System der Sprache und ermöglichen
im inneren Prozess, aber auch im äußeren Prozess, bestimmte Wege zu gehen an
Orte des Sinns. Aber die Orte des Sinns sind nur aufzeigbar und nicht
beschreibbar. Da sehe ich viele Berührungspunkte. “Die Zeit ist aus den Fugen“
versucht, das genau zu zeigen, ohne sich jetzt noch an einen fixen Punkt zu
klammern, an einen außerhalb der Zeit stehenden Gott, an eine außerhalb der
Zeit stehende Kultur, sondern versucht, den Bezugspunkt des eigenen Selbst
strikt anzunehmen, aber nicht wie die Postmoderne, die versucht, die
Vermittlung Subjekt und Welt zu negieren. Es ist, als ob die Postmoderne in der
Abwendung vom Gegenstand die Hegelsche
Figur der einfachen Negation realisiert, nur das Subjekt zu sehen. Aber jetzt
ist die Welt wieder anzuerkennen und darüber hinaus der Prozess der
überindividuellen Subjektivität und Weltkonstruktion, was Hegel Weltgeist nannte, also dass ich
die Welt konstruiere und die Welt mich. In diesem Bereich ist das Problem der
Vernunft anzusiedeln. Ich weiß nicht, ob sie grenzenlos zerstört wird, das
reiht sich in all die Fragen ein, die wir besprochen haben. Sie wird zerstört
und in anderen Punkten entsteht sie neu. Einige abschließende Bemerkungen: Was
mir fundamental zu sein scheint in einem solchem Prozess ist, die eigenen Vorgaben
zu leisten, dass Vernunft entstehen kann. Und diese können, weil sie dem Wesen
der Vernunft entsprechen, nicht gewaltförmig sein. Natürlich wäre es Unsinn,
Gewalt in jeder Situation abzuschwören. Darauf macht Hannah Arendt und machen auch andere Theoretiker aufmerksam.
Aber der Einsatz muss minimiert werden und er darf denjenigen, der sie benutzen
muss, nicht korrumpieren und in diesen Sog hineinbringen. In der Vernunftfalle,
in die ich hineingebracht werde, ist es legitim, aggressiv zu sein, sagt Hannah Arendt, oder Gewalt anzuwenden,
mich zu wehren.[xlv]
Um den Anerkennungsraum zu gestalten,
denke ich, ist es vielleicht nützlich, sich abschließend noch einmal mit dem
Freiheitsbegriff auseinanderzusetzen, an dem ich das besonders schön deutlich
machen kann. Und zwar möchte ich anfangen mit der Passage, die dieses
Verhältnis am besten beschreibt, der Passage des Kommunistischen Manifests. Das
ist für den entwickelten Kommunismus geschrieben, aber ich denke, das ist nie
das Ergebnis, sondern es muss Voraussetzung sein, dass die Freiheit eines jeden
die Bedingung der Freiheit aller ist. Wenn die Freiheit eines jeden, die
Bedingung der Freiheit aller ist, so ist die Freiheit des je anderen, die
Bedingung meiner eigenen Freiheit, die Bedingung meiner Existenz. Wenn aber
gleichzeitig Freiheit bedeutet, “Nein“ zur Macht zu sagen, so Octavio Paz, den mexikanische
Nobelpreisträger, so bedeutet dies, wenn ich das konsequent machen möchte, die
Bedingung der Möglichkeit von Freiheit von den Ohnmächtigen her zu bestimmen
und nicht von den Mächtigen her. Die Bedingung der Möglichkeit von Freiheit von
den Ohnmächtigen her zu bestimmen, das haben wir beispielsweise mit unserer
rehistorisierenden Diagnostik geleistet. Meinesgleichen sind die, die weniger
Macht haben als ich, vor denen ich mich zu verantworten habe. An anderen
Stellen haben das andere, Zigmunt Bauman
beispielsweise, gedacht und dann erst macht das Sinn, was Rosa Luxemburg sagt, nämlich Freiheit
ist auch die Freiheit des Andersdenkenden. Ja, selbstverständlich. Aber z.B.
nicht Singer als soziale
Institution, der Euthanasie durchsetzen will, um seine Universität oder
sonstwen zur Aufwertung zu bringen, sondern die Freiheit von Singer als Mensch. So sehr ich gegen Singer bin und in jeder Debatte gegen
ihn oder auch gegen Hegselmann
halten würde, finde ich es unsäglich und in keiner Weise verantwortbar, dass da
Familien bedroht werden. Das ist genau das, was der anderen Seite als
Faschismus vorgeworfen wird, das hier als Terrorismus praktiziert wird, um dies
deutlich zu machen. Noch ein letztes zum Freiheitsbegriff. Die Freiheit
erreiche ich nur dann, so Lévinas,
wenn ich mich zur »Geisel« des anderen mache, aber genau wissend, dass dieses
heißt, das durchzusetzen, was er möchte, und daß mich dieses Anliegen aber auch
in den Wohltätigkeitsterrorismus führen könnte. Das ist eine Gratwanderung, ein
Balanceweg, in dem ich immer wieder meine Freiheit bewahren muss, indem ich die
Freiheit des anderen bewahre, das wäre mir sehr wichtig. Insofern, wenn ich das
alles nehme, gibt es keinen Grund zur Verzweiflung. Das Leben findet im hier
und jetzt statt und die Gegenwart muss theoretisch geöffnet werden, indem
Erinnerungsarbeit stattfindet und die Zukunft das bleibt, was sie ist, Zukunft,
mögliche Zukunft, deren schlechtestmögliche Variante ich emotional
gegenbesetze, damit ich in der Gegenwart das bestmöglichste tun kann.
Georg Feuser
Wolfgang, ich sehe uns am Ende dieses
Interviews angekommen und danke Dir.
[i] Siehe Weser-Kurier vom 12./13.04.2001, Nr. 87, S. 1, der sich auf eine Umfrage des Allensbach-Instituts bezieht, die am 11.04.2001 vorgestellt wurde. Es wird auch referiert, daß 70% der 2094 Befragten über 16 Jahren finden, dass Sterbehilfe für schwer kranke Menschen ein guter Weg ist, um sie nicht so lange leiden zu lassen.
[ii] Epstein,
M.N.: Tempozid. Prolog zu einer Auferstehung der Zeit. Lettre International, H. 47 (1999) 4, 65-72
[iii] Huntington, S.P.: The clash of civilisations? Foreign affairs 72 (1993) 2, 22-49
[iv] Kuckhermann, R.; Wigger-Kösters, Annegret: Die Waren laufen nicht allein zum Markt. Köln 1985
[v] Anstötz, C.: Ethik und Behinderung. Berlin 1990
[vi] Hauschildt, J. Diagnosegeleitete Förderung. Sonderpädagogik 28 (1998) 2, 84-92
[vii] Jantzen, W.: Postmoderne Ethik und Embryonenschutz. Forum Wissenschaft (2001) 4, i.Dr.
[viii] Jantzen, W.: Das Ganze muss verändert werden. Zum Verhältnis von Behinderung, Ethik und Gewalt. Berlin 1993
[ix] Jantzen, W., Lanwer-Koppelin, W. und Schulz, Kristina (Hrsg.): Qualitätssicherung und Deinstitutionalisierung. Berlin 1999
[x] Dörner, K.; Spielmann, U. (Hrsg.): Geistige Behinderung, Humangenetik und Ethik. Der Würzburg-Eisinger Fall. Eisingen 2001
[xi] Bäcker, G. u.a.: Sozialpolitik und soziale Lage in der BRD. Bd. 1 und 2. Köln 1989²; Danckwerts, D.: Grundriß einer Soziologie sozialer Arbeit und Erziehung. Weinheim 1981²
[xii] Negri, A.: Die wilde Anomalie. Spinozas Theorie einer freien Gesellschaft. Berlin 1982
[xiii] “Tittytainment” für die globalisierten Massen sieht Brzezinski als Kombination von Ernährung (“titts” = Brüste) und Unterhaltung (“entertainment); vgl. Martin, H.P.; Schumann, H.: Die Globalisierungsfalle. Reinbek 1997, S. 13
[xiv] Basaglia,
F. Die Institutionen der Gewalt. In: Basaglia, F. (Hrsg.): Die negierte
Institution oder Die Gemeinschaft der Ausgeschlossenen. Frankfurt/M. 1978, 122-161
[xv] Haggard, E.A.: Isolation and Personality. In: P. Worchel and D. Byrne (Eds.): Personality Change. New York 1964, 433-469
[xvi] Siehe: Bleidick, U.: Metatheoretische Überlegungen zum Begriff der Behinderung. In: Z. Heilpäd. 27(1976)7, 408-415 - Jantzen, W.: Zur begrifflichen Fassung von Behinderung aus der Sicht des historischen und dialektischen Materialismus. In: Z. Heilpäd. 27(1976)7, 428-436 sowie Jantzen, W. : Materialistische Erkenntnistheorie, Behindertenpädagogik und Didaktik. Demokratische Erziehung 2 (1976)1, 15-29
[xvii] Siehe Feuser, G.: Zum Verhältnis von Sonder- und Integrationspädagogik - eine Paradigmendiskussion? In: Albrecht, F., Hinz, A u. Moser, Vera (Hrsg.): Perspektiven der Sonderpädagogik. Neuwied/Kriftel/Berlin 2000
[xviii] vgl. Hanesch, W. u.a.: Armut und Ungleichheit in Deutschland. Reinbek 200, 331-290
[xix] Jantzen, W.; Theorien zur Heilpädagogik, Das Argument Nr. 80 (1973) 152-169
[xx] Toulmin, S. Voraussicht und Verstehen. Frankfurt/M. 1981
[xxi]
vgl.
Kuhn, T.S.: Die Struktur
wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt/M. 1967 sowie Fleck, L.: Entstehung und Entwicklung
einer wissenschaftlichen Tatsache. Frankfurt/M. 1994³
[xxii]
Leontyev, A.N.: Notes on
consciousness. Activity Theory 3 u.4
(1989) I-VIII, 5 u.6 (1990) I-VIII
[xxiii] Wygotski, L.S.: Konkrete Psychologie des Menschen. In: M. Holodynski und W. Jantzen: Persönlicher Sinn als gesellschaftliches Problem. Studien zur Tätigkeitstheorie V. Bielefeld 1989
[xxiv] Freeman, W.J.: Societies of brains.
Hillsdale/N.J. 1995
[xxv] Benjamin, W.: Zur Kritik der Gewalt und andere Aufsätze. Frankfurt/M. 1965.
[xxvi] Jantzen, W.: Psychologischer Materialismus, Tätigkeitstheorie, marxistische Anthropologie. Berlin 1991
[xxvii] Sandkühler, H.J.: Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften. Hamburg 1990, 4 Bde. sowie Sandkühler, H.J.: Enzyklopädie Philosophie, Hamburg 1999, 2 Bde.
[xxviii] Interview: Hirn und KI-Forschung. Mit Gerhard Roth und Gerhard Vollmer. Spektrum der Wissenschaft (2000), 10, 72-75
[xxix] Wygotski, L.S.: Das Problem der Altersstufen. In: ders.: Ausgewählte Schriften Bd. 2. Köln 1987, 53-90
[xxx] vgl. die Zeitschrift “Development and Psychopathology”
[xxxi] verschiedene Arbeiten von Redko sind zugänglich unter folgender URL: http://www.keldysh.ru/BioCyber/
[xxxii] Jantzen,
W.: Schwerste Beeinträchtigung und die ›Zone
der nächsten Entwicklung‹. In:
Rödler, P. ; Berger, E.; Jantzen, W. (Hrsg.): Es gibt keinen Rest! – Basale Pädagogik für Menschen mit schwersten Beeinträchtigungen. Neuwied 2000, 102-126
[xxxiii] Aus dieser Diskussion ist die folgende Arbeit entstanden: Jantzen, W.: Vygotskij und das Problem der elementaren Einheit der psychischen Prozesse. In: W. Jantzen (Hrsg.): Jeder Mensch kann lernen – Perspektiven einer kulturhistorischen (Behinderten-)Pädagogik. Neuwied 2001, 221-243
[xxxiv] Jantsch,
E. Die Selbstorganisation des Universums. München 1979
[xxxv] ISCRAT (International Standing Conference for the Research in Activity Theory), gegründet 1986 in Berlin. URL: <http://www.iscrat.org>
[xxxvi] Jantzen, W.: Am Anfang war der Sinn. Marburg
1994
[xxxvii] Goethe, J.W.: Faust. Der Tragödie erster Teil [Vor dem Tor: Vers 1064/1065]
[xxxviii] Jantzen, W. The evolution of subjective sense. Multidisciplinary Newsletter for Activity Theory (1994) 15/16, 4-8 (dt. in ”Am Anfang war der Sinn” a.a.O.)
[xxxix] Jantzen, W.: Die Zeit ist aus den
Fugen. Marburg 1998
[xl] Goethe, J.W.: Faust. Der Tragödie erster Teil [Studierzimmer: Vers 1336/1340]
[xli] Eklektisch-empirische Mehrdimensionalität und der Fall Stutte. Eine methodologische Studie zur Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendpsychiatrie. Zeitschrift für Heilpädagogik 44 (1993) 7, 454-472; leicht gekürzte Fassung: Der Fall Stutte und die Stereoskopische Sicht. Forum Wissenschaft (1993) 2, 25-30
[xlii] Sève, L.: Marxismus und Theorie der Persönlichkeit. Frankfurt/M. 1973
[xliii] Vernadsky, V.I.: The biosphere. New York 1998; Vernadskij, V.I.: Der Mensch in der Biosphäre. Zur Naturgeschichte der Vernunft. Frankfurt/M. 1997
[xliv] Lotman, J.M.: Über die Semiosphäre. Zeitschrift für Semiotik, 12 (1990) 4, 287-305
[xlv] Arendt, H.: Macht und Gewalt. München 1970